"Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen."

"Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen." Das ist eines der vielen Bonmonts des Realpolitikers und Kettenrauchers Helmut Schmidt. Gemeint hat er damit nicht mich, er hätte mich aber meinen können, denn meine Begeisterung für bemannte Raumfahrt beruht eher auf ideellen Träumereien, als auf guten Gründen. Mir gefällt die Vision, dass wir Menschen das ganze Sonnensystem als unsere Heimat begreifen. Die Sterne sind wortwörtlich Lichtjahre entfernt, doch steht einer echten bemannten Erkundung und vielleicht sogar punktuellen Besiedelung unseren Sonnensystems prinzipiell nichts im Weg; nichts als der Aufwand den es zu treiben gilt - und auch dafür gibt es einen klugen Ausspruch: „Die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber welches Kind bleibt schon ewig in seiner Wiege?“ (Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski).

Nun haben große Pioniere vom Schlage eines Ziolkowski und kleine Blogger wie ich den großen Vorteil für ihre Visionen nicht einstehen zu müssen. Wie würde ich vor einem Parlament, vor den Wählern und Steuerzahlern meinen Raumfahrtenthusiasmus begründen? In Amerika haben die Präsidenten ein perfides Spiel erfunden, um dieses Problem zu lösen. Sie erfinden einfach ein Raumfahrtprogramm, dessen praktische Realisierung und Finanzierung frühestens in die Amtszeit des Nachfolgers fällt. So vermitteln sie PR-trächtig zukunftsorientierte Visionen, ohne Konsequenz - so wie sie auch Kriege beginnen und den Schlamassel der Nachwelt überlassen. In den USA scheint dieses Spiel an seine Grenzen gestoßen zu sein. Es ist ein Präsident an die Macht gekommen, dessen Wahlslogans "Change" und "Yes, we can" so gar nicht nach "weiter so" klingen. Die Welt erwartet etwas anderes von Barack Obama. Mit der NASA tut er sich besonders schwer, wie ich gestern geschrieben habe, ist dort die Verunsicherung sehr groß. Um den Istzustand und die Optionen zu erkunden, hat Präsident Obama eine nach ihrem Vorsitzenden Augustine benannte Untersuchungskommission eingerichtet. Eugen Reichl hat dazu fleissig gebloggt: O du lieber Augustine und Augustine, was nun?
Die NASA befindet sich an einem Scheideweg. Wird es eine bemannte Raumfahrt nur noch zum Betrieb der internationalen Raumstation ISS geben und vielleicht privat finanziert für superreiche Touristen? Was passiert, wenn in der ISS die Lichter ausgehen? Dabei steht die Raumfahrt global gesehen hoch im Kurs. CNN meldet gerade, dass Indien für 2016 bemannte Raumflüge plant. Zwei Astronauten sollen für sieben Tage in den Erdorbit geschickt werden. Dafür wird eine komplett neue Infrastrukur für die Astronautenausbildung gebaut.  Außerdem soll 2012 die Raumsonde Chandrayaan-2 starten. Die Raumfahrtpläne Chinas reichen noch weiter, obwohl das politische System Chinas gar nicht das Prinzip folgenloser präsidialer Ankündigungen kennt. Handelt es sich hierbei lediglich um ein Nachholbedürfnis der beiden ehemaligen Schwellenländer? Fühlen sie sich erst so richtig gleichwertig mit der westlichen Hemisphäre, wenn ihnen das gelingt, was die Amerikaner schon 1969 vorgemacht haben? Ist der Rückbau großspuriger Pläne in der bemannten Raumfahrt Amerikas einfach nur ein logischer Entwicklungsschritt, den wir auch aus anderen Lebensbereichen bereits kennen? Etwas platt formuliert: Während die Chinesen daran arbeiten, ihre Fahrräder durch Autos zu ersetzen und wir ihren neuen Bonzen gerne die Luxuslimousinen liefern, gilt es bei uns als Ausdruck von Lebensqualität, nicht auf das Auto angewiesen und mit dem Fahrrad mobil zu sein.

Eine realpolitische Stimme aus den USA findet sich in dem Beitrag von William A. Collins: Keep Humans Out of Space. Der Politiker (Landtagsabgeordneter und Bürgermeister) formuliert eine selbstkritische Meinung zu seinem Heimatland, wenn er sagt, dass der Titel des Reports der Augustine-Kommission auch anders gelesen werden kann. Der Titel lautet nämlich Seeking a Human Spaceflight Program Worthy of a Great Nation, also in etwa: Auf der Suche nach einem bemannten Raumfahrtprogrammm, das einer großen Nation angemessen ist. Er stellt fest, dass die Supermacht USA gar nicht so super ist und daher ein angemessenes Raumfahrtprogramm vielleicht wirklich den Verzicht auf das Attribut "bemannt" beinhalten könnte. Die USA ist von der Bankenkrise geschüttelt, heillos verstrickt in Kriegen, bei denen es Nichts zu gewinnen gibt und unfähig ein funktionierendes Gesundheitswesen aufzustellen. Solch einem Land ein angemessenes Raumfahrtprogramm zu verpassen bedeutet eben, keines zu haben. Sich das einzugestehen ist schmerzhaft und erklärt die Polarisierung, die die Diskussion um die Raumfahrt bewirkt. Hier nochmal in den Worten von William A. Collins:
"The title of the commission’s report: “Seeking a Human Spaceflight Program Worthy of a Great Nation,” suggests the dilemma. With our sundry wars, economic meltdown, health-care woes, and rogue banking system, Americans are already grappling with the concept that we may not be quite as great a nation as we once thought. Larding onto those self-doubts, a pullback in human space exploration might be too big a pill for our national psyche to swallow."
In Zeiten der Wirtschaftskrise hält er eine Investition in die bemannte Raumfahrt für verfehlt, sie hat auch ihre hochtrabenden Versprechen aus der Von-Braun-Ära nie gehalten:
"No minerals are flowing in from the moon, no resorts have blossomed, and the Augustine Commission seems pretty well agreed that Mars is out of reach for any amount of money that we seem likely to spend."
Der Nutzen der Raumfahrt in Form von  Satellitentechnologie ist natürlich offensichtlich, doch braucht es dafür keine bemannte Raumfahrt.

Stattdessen singt William A. Collins ein Hohelied auf Raumsonden und Roboter:
Send out robots,
They work fine;
People are,
A waste of time.
Das ist dann aber spätestens der Punkt, wo man ihn widersprechen könnte. Es bleibt sicherlich noch viel zu tun für Raumsonden. Es gibt riesige Ecken in unserem Planetensystem die nicht fernerkundet sind. Aber Sonden und Rover geraten auch schnell an ihre Grenzen. So großartig die nun bereits sechsjährige Missionen der Marsrover Spirit und Opportunity sind, ein Feldgeologe vor Ort hätte dieselben Resultate und noch mehr in wenigen Tagen zusammentragen können. Da relativiert sich auch schnell der Kostenfaktor. Auf diesen Umstand macht der ESA-Mann und Blogger Michael Khan in seinem Kommentar zum bereits erwähnten Beitrag Augustine, was nun? aufmerksam:
"... Wenn man sich aber nur auf die unbemannten Sonden verlässt, dann lässt man einen großen Teil des wissenschaftlichen Returns außen vor. Man will ihn gar nicht. Man verzichtet einfach darauf.
Das hat wenig mit Blasphemie zu tun. Es ist eher Realismus. Ein paar Jahre Arbeit an unbemannten Missionen, dann will man wirklich mehr sehen. Mehr Wissenschaft, viel mehr, mehr als diese Sonden je erbringen werden. ..."
Es ist aber nicht nur die Wissenschaft, die zu kurz kommt. Solange wir nicht persönlich auf dem Mars landen, waren wir auch nicht da. Das wäre wie wenn man die Tiefsee oder den Südpol ausschließlich robotisch erkunden würde.

Was bleibt einem Träumer, wenn Realpolitik die Oberhand gewinnt? Zunächst der Trost, dass wir ja alle schon Raumfahrer auf dem Raumschiff namens Erde sind. Dann die Erfahrung, dass es nunmal Zeiten für Pragmatismus und Zeiten für Idealismus gibt. Beide für sich alleine können nicht bestehen. Die Zeiten werden sich auch wieder ändern, solange man nicht aufhört, das größte Abenteuer der Menschheitsgeschichte weiterzuträumen.

Spätestens wenn die chinesische Flagge in den Mondboden gerammt wird, werden die nötigen Kräfte für ein ambitioniertes Raumfahrtprogramm in den USA freigesetzt. Es wäre aber schön, wir könnten diesmal andere Gründe für den Flug ins Sonnensystem finden, als den albernen Wettlauf der Systeme auf der Erde.

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