"Wie lautet die wichtigste Mondregel?"

Was dem Florian der Biomarkt ist mir die Buchhandlung: Ein Ort voll blühendem Esoterik-Geschwurbel. Eine besondere Spielart sind dabei Mondkalender. In ihnen erfährt man, wann der beste Zeitpunkt für so ziemlich alles ist: Vom Zahnarztbesuch bis zum neuen Hausanstrich. Große "Mond-Pioniere" (nein, gemeint sind nicht die Apollo-Astronauten) sind dabei Johanna Paungger-Poppe und Thomas Poppe. Deren Mondkalender soll schon elf Millionen mal über den Ladentisch gegangen sein. Den Buchhandel freut das, denn anders als Theater oder Film wird die Buchbranche nicht staatlich subventioniert und braucht daher Zugpferde, damit am Abend die Kasse stimmt. Daher durften sich die beiden Mond-Pioniere nun in der Branchenzeitung Börsenblatt äußern: La Luna gibt den richtigen Zeitpunkt vor. "Nanu nana wie das", denkt sich der Leser und erfährt, dass Frau Johanna Paungger-Poppe ihr Wissen ihrem Großvater Joseph Koller verdankt und sie ergänzt:
"Wir recherchieren nichts."
Allein das ihr mitgeteilte Wissen ihres ländlich-naturverbundenen Großvaters zählt. Nachamern gegenüber gibt man sich dementsprechend skeptisch:
"Wir sind selbst Skeptiker in vielen Dingen, gesunde Skepsis ist beim heutigen "Medienangebot" mehr als notwendig."
Leider sind sie offensichtlich nur "in vielen Dingen" skeptisch, bei weitem nicht in allen.

Mondregeln haben handfeste Vorteile, wenn man den Mond-Pionieren glaubt. Hält man sich nämlich an die richtige Mondregel, so hält der neue Hausanstrich nicht nur fünf Jahre, sondern doppelt so lang! Wenn dies wirklich so stimmt, kann man diese Regel getrost als die wichtigste bezeichnen, denn der wirtschaftliche Vorteil solch eines Wissens wäre schlicht enorm. Auf die Frage, welche Mondregel die wichtigste ist, gibt Thomas Poppe aber eine erstaunliche Antwort, die ich gerne komplett zitiere:
"Erst gestern haben wir wieder eine Zuschrift bekommen, in der sich eine Dame bedankt, Sie habe mit dieser Mondregel 25 kg abgenommen, innerhalb eines Jahres und ohne jeden mentalen oder körperlichen Aufwand. Die Regel lautet: Bei Neumond und bei Vollmond jeweils einen Obst- oder Safttag einlegen oder gleich richtig fasten, bei abnehmendem Mond essen wie gewohnt und bei zunehmendem Mond fünf Minuten vor dem Sattsein aufhören zu essen. Wie man weiß, wann genau man satt ist? Das lernt man ebenso schnell wie den richtigen Bremsdruck beim Autofahren. Ist einfach Gefühlssache."
Man beachte: eine Dame ist übergewichtig und folgt nun der Regel weniger zu essen und auch mal einen Safttag einzulegen. Klar, dass sie abnimmt, aber was hat das mit dem Mond zu tun? Ein ursächlicher Zusammenhang wird direkt auch gar nicht behauptet. Der Mond dient im Diätprogramm der Dame einfach als Taktgeber. So gesehen ist diese Mondregel durchaus sinnvoll und es wundert nicht, dass sie funktioniert. Es ist also durchaus schlau, diesen Fall herauszustellen und nicht die Frage, warum ein Zahnarztbesuch oder ein Hausanstrich einen durch den Mond vorgegebenen richtigen Zeitpunkt haben sollten. Da man im Fall der Diät nicht wirklich widersprechen kann, ist man versucht, auch die anderen Beispiele zu glauben, obwohl man dies ohne ein überprüfbares Modell der Ursache-Wirkung-Beziehung und entsprechender Experimente nicht sollte.

Wie geschickt sich die Mond-Pioniere im Verlagsumfeld bewegen zeigt diese Aussage von Thomas Poppe aus dem Interview:
"Es ist längst nicht alles gesagt, aber es gibt für alles den richtigen Zeitpunkt, auch beim Veröffentlichen. Der Zeitgeist geht die seltsamsten Wege, man muss ihn beobachten, sich ihm anvertrauen und mit ihm fließen."
Ja, der Zeitgeist geht seltsame Wege, aber anvertrauen will ich mich dem doch lieber nicht.

Das vollständige Interview findet sich auf boersenblatt.net: La Luna gibt den richtigen Zeitpunkt vor.

1 Kommentar:

  1. Marc Horstmann21. Mai 2009 um 20:04

    Also, das ist ja wohl eine Methodenfrage. Die wissenschaftliche Wahrheit wird auch von Wissenschaftlern gerne so verstanden, dass 'wissenschaftlich' dabei als Steigerungsform von 'Wahrheit' fungiert, dabei ist es tatsächlich eine Einschränkung!

    Wenn die Methode heisst: 'fragen wir den Grossvater', dann ist das eben so und man kann sehen wie weit man damit kommt. Und wenn's das bringt hat man in der Wissenschaft mit Albert Einstein ja auch noch einen Grossvater aufzubieten^^.

    Mathematiker sehen ihre Sätze als gültig nur in einem bestimmten Axiomensystem. In anderen sind andere Sätze wahr. Warum Naturwissenschaftler nicht in der Lage sind sich eine solche wirklich coole Grundhaltung zu eigen zu machen, erschliesst sich mir nicht ganz.

    Wie Religion oder die klassische Musik muss sich nun auch die Wissenschaft mit einem Wissens- und Wahrheitspop herumschlagen. Bin gespannt wie sie dabei abschneidet.

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