Die Wissenschaftsjournalistin Hildegard Werth hat beide Missionen des ESA-Astronauten begleitet. Sie folgte Thomas Reiter ins legendäre russische Sternenstädtchen Swjosdny Gorodok bei Moskau, verfolgte seinen Start vom Weltraumbahnhof Baikonur zur Mir und seine „sportliche“ Landung in der Landekapsel des Sojus-Raumschiff. Mit seinem zweiten Flug ins All wiederholt sich das Spiel, diesmal auf der anderen Seite des ehemals eisernen Vorhangs. Nach dem Training in Houston, Texas, ging es nach Florida zum Start mit dem Space Shuttle Discovery zur Internationalen Raumstation. Diese kurze Inhaltsangabe zeigt, was das Buch von Hildegard Werth interessant macht: Der in Frankfurt geborene Astronaut Thomas Reiter ist Teil der jüngeren Raumfahrtgeschichte und hat auf beiden ehemals konkurrierenden Seiten aktiv mitgewirkt. Als Mitarbeiter einer multinationalen europäischen Organisation, die eng mit russischen und amerikanischen Kollegen zusammenarbeitet, wird Thomas Reiter 350 Kilometer über die Erdoberfläche geschossen, wo keine Grenzen mehr sichtbar sind. Als Astronaut sieht er sich als Weltbürger – eine Sichtweise, die in dem Buch immer wieder betont wird.
Was für ein Mensch ist dieser Thomas Reiter? In Neu-Isenburg aufgewachsen, von der ersten Mondlandung für Raumfahrt infiziert und von seinem segelfliegenden Vater schon früh in die Lüfte gehoben, baut der jugendliche Thomas Reiter eigene Raketen, studiert Luft- und Raumfahrttechnik und wird Tornado-Pilot bei der Bundeswehr. Auch wenn man das Berufsziel Astronaut nicht planen kann, wirkt Thomas Reiters Werdegang im nach hinein doch sehr zielgerichtet. Die Autorin charakterisiert ihn kurz so:
„Thomas Reiter ist ein sachlicher und zurückhaltender Mensch, und wenn er über seine Erlebnisse im Weltraum berichtet, vermeidet er, große Worte zu machen.“Eine echte Biographie über einen so sachlichen, zurückhaltenden Musterastronauten zu schreiben ist kaum möglich. Es mangelt an Reibungspunkten, Dramen und seltsamen Anwandlungen, wie sie beispielsweise in den Lebensgeschichten der Apollo-Astronauten vorkommen. Auch sein aktueller Job als ESA-Direktor für „Human Spaceflight and Operations“ in Darmstadt ist kein Stoff, aus dem spannende Bestseller gestrickt werden. So ist Hildegard Werths Buch doch in erster Linie ein Raumfahrtbuch, in dem der Leser Thomas Reiter über die Schulter schaut und neben vielen technischen Details auch unterhaltsame Informationshäppchen über das Leben im All serviert bekommt.
Ziemlich persönlich wird es dann aber doch, wenn Thomas Reiter offen über die körperliche Belastung spricht, die insbesondere der Wechsel von Schwerelosigkeit und Erdendasein hervorruft. Der Astronaut ist hier Versuchskaninchen. Er testet die Weltraumtauglichkeit des Menschen und obwohl Thomas Reiter zwei Mal an die Grenzen der körperlichen Leistungsfähigkeit stößt, würde er sofort ein drittes Mal fliegen.
Fazit: Das Buch ist locker geschrieben und gibt den raumfahrtinteressierten Leser, das, was er braucht: Detaillierte Fakten und kuriose Akronyme. Was ein bisschen nervt, sind die vielen Wiederholungen, die sich daraus ergeben, dass die Autorin im Journalistentross fleißig diverse Veranstaltungen mit Thomas Reiter besucht, auf denen er mehr oder weniger immer dasselbe sagt. Überhaupt sind es nicht diese offiziellen und "politischen" Seiten, die an Thomas Reiter interessant sind. Mir gefallen die Passagen besonders gut, in denen die sachliche Nüchternheit des Ingenieurs mit der Großartigkeit des Projekts kontrastieren. Astronauten sind einfach auf eine angenehme Art und Weise coole Typen.
Bibliographische Angaben:
Hildegard Werth
Thomas Reiter
Leben in der Schwerelosigkeit
2011, 271 S., 42 Farbfotos auf Taf.
Einband: Gebunden
Verlag: Herbig
ISBN: 9783776626582
€ 19,95 (D)
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