Tödlicher Staub aus dem All

Ich gebe zu, ich bin oft der Letzte, der mitbekommt, wenn es irgendwas Neues aus Hollywood gibt. So habe ich auch erst gestern erfahren, dass einer meiner Lieblingsfilme 2008 neu verfilmt wurde (wenn auch nur fürs Fernsehen): Andromeda - Tödlicher Staub aus dem All, im Original: The Andromeda Strain. Da ich das Glück habe eine gute Videothek in der Nachbarschaft zu haben, konnte ich mir den Film auf DVD anschauen. Hier der Trailer dazu:




Die Vorlage zum Film lieferte der gleichnamige Roman von Michael Crichton aus dem Jahre 1969. 1969, da war doch was? Genau, die Landung von Neil Armstrong und Edwin Aldrin auf dem Mond mit Michael Collins als Taxifahrer in der Mondumlaufbahn. Als die drei Mondfahrer am 24 Juli zur Erde zurück kamen, steckte man sie erstmal bis zum 10. August in Quarantäne. Man wusste einfach nicht, ob es so etwas wie Weltraumbakterien, bzw. -viren geben könnte, die sich die beiden ersten Menschen auf dem Mond eingefangen haben könnten. Von dieser Quarantäne-Praxis wurde aber in der Geschichte der Raumfahrt nur bis Apollo 12  Gebrauch gemacht. Das folgende Video zeigt, wie die drei Besatzungsmitglieder von Apollo 11 in Schutzanzügen den Bergungshelikopter verlassen und in den Quarantäne-Wohnwagen einziehen, der auf das Deck des Bergungsschiffes gestellt wurde.



Michael Crichton trifft mit seinem Roman Andromeda zeitnah diese Ängste. Der Mensch begibt sich physisch in eine unbekannte Umgebung: jenseits der Erdatmosphäre. Was wissen wir wirklich über den Weltraum, welche möglichen realen Bedrohungen erwarten uns? In Crichtons Roman stürzt ein Satellit zur Erde, nachdem er wohl eine Kollision mit einem Stück Materie aus dem All hatte. Der Absturz erfolgt über dünn besiedelten Gebiet in den USA. In seiner Folge sterben alle Einwohner einer nahe der Absturzstelle gelegenen Kleinstadt an einer unbekannten Krankheit, alle bis auf einen notorischen Säufer und ein Baby mit Schreikrämpfen. Eine handvoll Wissenschaftler wird in ein geheimes unterirdisches Sicherheitslabor beordert, wo sie den Satelliten mit seiner tötlichen Fracht und die beiden Überlebenden untersuchen.

Das Szenario der Story krankt schon allein daran, dass ein außerirdischer Virus sicherlich nicht einfach eine menschliche Zelle befallen kann. Wir haben Millionen Jahre Koevolution mit unserer mikrobiologischen Umwelt hinter uns, ein ständiges Rüsten und Gegenrüsten zwischen unserem Imunsystem und den Mikroben *). Wie soll da ein außerirdischer Virus infektiös wirken können? Der Alien-Virus würde eine menschliche Zelle wahrscheinlich gar nicht als solche wahrnehmen. Aber egal, was die Verfilmung aus dem Jahre 1971 so toll macht, ist nicht nicht nur das unheimliche Szenario einer unbekannten Bedrohung aus dem All, sondern die radikale Umsetzung des wissenschaftlichen Rätsels. Nach ein bisschen Vorgeplänkel spielt der Film im wesentlichen im Labor. Es passiert kaum etwas anderes, als der Versuch eine Viruserkrankung zu entschlüsseln. Mit Labormäusen, Patienten und den besten Mikroskopen der Zeit. Wie jedes streng geheime amerikanische Hollywood-Hochsicherheitslabor hat natürlich auch dieses eine atomare Selbstzerstörung, die im Falle der Kontamination aktiviert wird. Eine kleine dramaturgische Spitze des Films ist die James-Bond-artige Szene, wie die Wissenschaftler gerade noch in letzter Sekunde die Selbstzerstörung verhindern. Hierfür muss der Held die Sicherheitseinrichtungen des Labors überwinden, was zu einer witzig-ironischen Szene führt. Der Wissenschaftler wird dabei nämlich selbst zur Labormaus des Computers, der diese wie Ungeziefer beschießt. Das sieht graphisch aus wie ein frühes Computerspiel, nur dass hier nicht der menschliche Spieler einen computergenerierten Gegner beschießt, sondern umgekehrt der Computer einen Menschen.

Der komplette Film von 1971 kann auf Youtube angeschaut werden oder momentan auch in dem Player ganz unten auf dieser Seite.

Was ist nun von der Neuverfilmung zu halten? Bis in zahlreiche Details hält sie sich ans Original, allerdings angepasst an die Technik und Sehgewohnheiten von heute. So tickern im Original ständig irgendwelche Fernschreiber, über die streng geheime Berichte über das Projekt Andromeda laufen. In der Neuverfilmung kleben dafür ständig irgendwo Flatscreens an der Wand und poppen Gesprächspartner via Videotelefonie auf. Aber der Sense of Wonder, also das Gefühl es mit einem wissenschaftlichen und bedeutsamen Geheimnis zu tun zu haben, kommt in der Neuverfilmung nicht so recht auf. In der Neuverfilmung stehen eher Verschwörungstheorien und Geheimhaltungsszenarien im Mittelpunkt. Ich halte den Unterschied zwischen diesen beiden Verfilmungen für bedeutsam, denn er zeigt, warum SF heutzutage nicht mehr funktioniert, bzw. Hollywood das nicht mehr hinbekommt.
  • Wie im Film selbstironisch angemerkt wird, verlässt man sich heute auf "schwarze Helikopter und Männer in grün" (Soldaten), sprich: Die Action steht im Vordergrund und schöne Bilder sind wichtiger als Logik und gute Dialoge. 
  • Im Original von 1971 sind die Schauspieler völlig durchschnittlich aussehende Menschen, die glaubhaft Wissenschaftler verkörpern. Heute sehen die Wisenschaftler (alles natürlich Koryphäen auf ihrem Gebiet) aus, als hätten sie gerade Vordiplom gemacht und dabei die meiste Zeit im Fitnessstudio verbracht. 
  • Im Original steht die Lösung des Rätsels "Andromeda" im Vordergrund. In der Neuverfilmung gibt es solch eine Fokusierung nicht: Wir haben eine Agentengeschichte, viel militärisches Rumgeballere, wir haben einen Präsidenten, der "Independence Day"-mäßig die Welt rettet und natürlich die Umweltproblematik, denn wir verdanken das Andormeda-Problem der Ausbeutung der Tiefsee - wer hätte das gedacht?
Wunderbar im Original ist das beklemmende Unbehagen der Wissenschaftler an der alles durchstrukturierten Computertechnik des Hightec-Labors. Michael Crichton spielt alle denkbaren Probleme der Mensch-Maschine-Schnittstelle durch. Vor dem Eintritt in das Labor werden die Wissenschaftler vollkommen den Bedürfnissen des Labors angepasst. Sie erhalten Injektionen, werden desinfiziert und speziell eingekleidet. Der Mensch muss sich der neuen technischen Umgebung anpassen - wie der moderne Mensch der Computerwelt. Das hat auch komische Züge, wenn zum Beispiel einer der Wissenschaftler versucht mit der Computerstimme zu flirten, weil er glaubt, dass sich hinter der schönen Stimme eine echte Person verbirgt.

Die Helden der Neuverfilmung leben aber schon in einer Computerwelt. Statt Beklemmung vermittelt der Film Ästhetik. Gerade die Szene beim Einstieg in das Labor zeigt dies deutlich: Im Original sind die medizinischen Anpassungen der Wissenschaftler unangenehm bis unheimlich, in der Neuverfilmung bleibt davon nur noch die Darstellung einer kräftigen Dusche schöner Leiber, die auch einem Duschgelwerbespot entnommen sein könnte. Diese Selbstverständlichkeit, mit der sich die neuen Helden in der Computerwelt des Labors bewegen, nimmt den Film jeden Reiz und ist zuweilen sogar lächerlich. Es ist nämlich nicht so, dass die neuen Hollywood-Wissenschaftsteenager wirklich forschen würden - die Ärztin untersucht nicht einmal richtig die beiden Überlebenden, während im Original der Arzt noch sagt: "I prefer the personal touch". Die Jungwissenschaftler fragen stattdessen einfach den Computer. Der rechnet eine Weile und schwupps gibt es einen Erfolg nach oben an die Oberfläche zu Mr President zu melden, dann wieder schwarze Hubschrauber und Männer in grünen Uniformen ... Man fragt sich, warum die Wissenschaftler den Computer nicht einfach auffordern: "Computer, löse alle unsere Probleme." Wahrscheinlich müssen wir dafür noch bis zur dritten Verfilmung warten.

Was also bleibt: Die Neuverfilmung empfehle ich gerne. Es ist ein unterhaltsamer Sciencefiction in dem Stil, wie er eben heute Standard ist. Man schaut sich das an, ist nett unterhalten und hat eine Viertelstunde später vergessen, was man eigentlich die letzen zwei Stunden gemacht hat. Noch besser ist aber das Original von 1971. Er zeigt uns, wie faszinierend und anregend es gewesen sein muss, als wir die Zukunft noch vor uns hatten, noch zwischen Mensch und Avatar unterschieden haben und noch nicht klar war, wer die dominierende Spezies auf diesem Planeten ist: Mensch oder Computer.

*) Literaturtipp am Rande: Was wäre das Leben ohne Parasiten?

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