Die kugelligen Zwillingskinder des Mars

Hier ist noch eine nette Geschichte aus dem Buch Der neunte Kontinent von Ulf von Rauchhaupt, die ich gerne weitererzählen will.

Zu Zeiten von Galileo Galilei gab es auch schon Prioritätsstreitigkeiten und da es noch keine institutionalisierte Wissenschaft im heutigen Sinne gab, war die Anerkennung einer Erstentdeckung damals für den Forscher auch existentiell sehr bedeutsam. Eine etwas skurile Methode, sich die Priorität zu sichern, war, seine Entdeckung in einen Satz zu verpacken, den man dann bis zur Unkenntlichkeit auseinanderhackt. Die so gewonnen Buchstaben werden zu einem neuen Satz zusammengereimt, den man dann per Brief an einen anderen Gelehrten schickt. Kam es später dann zu Prioritätsstreitigkeiten, konnte man darauf hinweisen, dass man ja in seinem Brief vom soundsovielten an den gelehrten und bewunderungswürdigen edlen Herrn Doktor XY ja schon einen Satz geschickt hat, in dem die Entdeckung verborgen ist. Dieser Satz wird Anagramm zum Ursprungssatz genannt. So tat es auch Galileo Galilei im Herbst des Jahres 1610. Sein Anagramm schickte er an Johannes Kepler, einem begabten Deutschen, der Galilei zu Füßen lag, aber bei allem Genie auch eine merkwürdige mysthische Ader hatte, mit der Galilei lieber nicht in Zusammenhang gebracht werden wollte, zumal Kepler auch noch Protestant war. Doch als Empfänger eines Anagramms war er ob seiner Loyalität sehr gut geeignet. Galileo Galilei schrieb ihm also: "smaismrmil mepoetaleum ibunenugt tauiras". Was er sich hier aus der Buchstabensuppentüte geschüttelt hatte, sollte für den folgenden Satz stehen: "Altissimum planetam tergeminum observani". In diesem Satz fast Galileo Galilei seine Beobachtung zusammen, dass der Planet Saturn eine "Drillingsgestalt" hat. Mit seinem Teleskop war Galilei nämlich noch nicht in der Lage, das Ringsystem des Saturn als solches zu erkennen. Dies gelang erst Christiaan Huygens. So erklärt sich das merkwürdige Wort von der Drillingsgestalt.

Johannes Kepler war von dem Rätsel natürlich sehr angetan und konstruierte aus dem Anagramm den Satz "Salue umbistineum geminantum Martia proles", ein, laut Ulf von Rauchhaupt, "selbst für das geschraubte Gelehrtenlatein der damaligen Zeit ziemlich schräger Satz". Der Satz kann wohl (ich kann leider kein Latein) wie folgt übersetzt werden: "Seid gegrüßt, ihr kugeligen Zwillingskinder des Mars". Das ist nämlich genau das, was Johannes Kepler von Galileo Galilei erwartet hatte: die Entdeckung zweier Marsmonde. Schließlich hatte Galilei im Frühjahr die Entdeckung der vier großen Jupitermonde Io, Europa, Ganymed und Kallisto bekannt gegeben. Da die Erde einen Mond hat und der Jupiter vier, erwartete Kepler für den zwischen Erde und Jupiter stehenden Mars zwei Monde. Der Mathematiker Johannes Kepler suchte leidenschaftlich nach solchen mathematischen Harmonien in der Natur des Himmels und auch wenn unser heutiges Weltbild weit entfernt von pythagoräischen Sphärenharmonien ist, stellt mathematische Ästhetik für heutige Physiker durchaus immernoch ein Kriterium für die Richtigkeit einer Theorie dar oder zumindest, ob man mit ihr "zufrieden" ist. Eine Theorie sollte nicht nur wahr sein, sondern auch schön.

Ironischerweise hat Mars tatsächlich zwei Monde, die allerdings erst 1877 von Asaph Hall entdeckt wurden. Sie heißen, passend zum Kriegsgott Mars, Furcht und Schrecken oder in vornehmer Gelehrtensprache Phobos und Deimos. So hat Johannes Kepler die Vorstellung von zwei Marsmonden bereits beflügelt, bevor sie entdeckt wurden, was sich durchaus in der Literatur vor 1877 niedergeschlagen hat, zum Beispiel bei Voltaire oder Jonathan Swift.

Das Bild zeigt übrigens den Mond Phobos mit dem gigantischen Krater Stickney. Kugelig sind die Zwillingskinder also nicht, eher kartoffelig.

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