Hawking gibt auf


Dem berühmten britische Astrophysiker Stephen Hawking droht der Ruhestand. Im Januar wird er 67 und somit altersbedingt emeritiert. Er räumt den Lucasischen Lehrstuhl für Mathematik an der Universität Cambridge. Dieser simple Sachverhalt ist den meisten Medien im Netz eine Meldung wert. Zum Beispiel titelt Welt Online: Hawking gibt berühmten Lehrstuhl an Universität Cambridge auf, als würde da nicht ein älterer Herr in den verdienten Ruhestand gehen, sondern ein Schachspieler dem drohenden Schachmatt zuvorkommen - eine Partie gegen den Schöpfer persönlich, so wie es sich für einen Astrophysiker gehört.

Was macht die Faszination von Stephen Hawking aus? Das hier abgebildete neue Buch von Rüdiger Vaas will uns "Die Welt des Genies - für jeden verständlich" machen, wie es der Untertitel verspricht. Was aber hat ein "Genie" in der modernen Naturwissenschaft überhaupt zu suchen? Da steht ein einzelner Mann im Rollstuhl für das Ringen um Erkenntnis, während an Orten wie dem CERN tausende Physiker an ihren Experimenten arbeiten und bei der ESO in Chile Astronomie im industriellen Maßstab betrieben wird und dies weitestgehend ohne namentliche Nennung der vielen beteiligen Personen. Entsteht die naturwissenschaftliche Weltsicht nicht eher kollektiv an solchen Orten und ihren angeschlossenen Instituten, als im Kopf eines einzelnen naturwissenschaftlichen Büroarbeiters?

In der Literaturgeschichte markiert der Geniebegriff die Abgrenzung zur bloß vernünftigen Literatur der Aufklärung. Die Stürmer und Dränger um die noch jungen Schriftsteller Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller wollten die Natur nicht mehr nur beschreiben, sie wollten ihre dynamische Schöpfungskraft nachahmen, um so Neues zu erschaffen. Auch der Wissenschaftler als Genie ist kein kleinbürgerlicher Datensammler und Erbsenzähler, sondern eine faustische Gestalt, die in seiner einsamen Kammer ein Weltgebäude entwirft. Die Verneinung der Körperlichkeit verstärkt dieses Bild nur noch: Lebte das Genie Albert Einstein ein durchaus sympathisches Desinteresse für Äußerlichkeiten vor, ist es bei Stephen Hawking eine ernste und schwere Erkrankung (amyotrophe Lateralsklerose), die seinen Geist im Körper gefangen hält. Einstein und Hawking inszenieren sich - und werden von den Medien inszeniert - als Menschen, deren einzig mögliche Existenzform der rein gedankliche Weltbildentwurf ist. So hält das Genie in der Wissenschaft Einzug, aber welchen Wert hat es wirklich für die Wissenschaft?

Albert Einstein konnte tatsächlich noch von seinem Arbeitszimmer aus die Physik revolutionieren, der Geniekult um Stephen Hawking scheint mir hingegen eher eine antiquierte Sehnsucht des Publikums nach dem Genie zu sein: Der körperlose Geist, der mit der Welterklärung ringt und das Publikum in Form des Bestsellers "Eine kurze Geschichte der Zeit" daran teilhaben lässt. Stephen Hawking erzählt darin vom Aufbau der Welt und das wissenschaftlich kaum vorgebildete Publikum glaubt, er hätte sie selber so entschlüsselt.
Für die Medien wird Stephen Hawking zur Ikone des nach Erkenntnis strebenden Wissenschaftlers, der alle anderen fleißigen und klugen Physiker in den Schatten stellt. Journalisten, wie der Buchautor Rüdiger Vaas, benötigen dieses "Story Telling", denn wenn man dem Publikum nur schwer die Inhalte der modernen Astrophysik vermitteln kann, so hört es doch wenigstens gerne die tragische Geschichte von dem tapferen Mann im Rollstuhl. Diese Personifizierung in der Beschreibung des wissenschaftlichen Voranschreitens gleicht dem der Sportjournalisten, wenn diese den Sieg einer Mannschaft mit ein oder zwei herausragenden Spielern begründen. Es ist schon richtig, ein genialer(!) Pass eines Fußballspielers kann ein Spiel entscheiden, dennoch ist Fußball ein Mannschaftssport und kein Spieler kann für sich alleine reklamieren gewonnen zu haben.

Wenn Stephen Hawking nun in den Ruhestand geht, ist das meines Erachtens keine Meldung wert. Er ist kein Genie, weil das "Genie Hawking" ein mediales Konstrukt ist. Stephen Hawking ist ein Mensch, der trotz sehr schwerer Erkrankung seinen Weg geht und sicherlich nicht aufhört zu denken, nur weil er emeritiert wird - dafür hat er unsere Hochachtung wirklich verdient.

(Das Buch von Rüdiger Vaas "Hawkings neues Universum" ist bereits im Buchhandel erhältlich. Mehr Information zum Inhalt findet sich zum Beispiel hier.)

3 Kommentare:

  1. Gute Punkte zum (und gegen den) Geniekult! Ich denke auch, daß Hawking kein "Genie" ist - aber trotzdem ein Wissenschaftler mit kreativen Ideen, der bleibende Beiträge über Kosmologie und Quantengravitation geleistet hat.

    Das abgebildete Cover ist übrigens nicht richtig (der richtige Untertitel heißt anders!) und in dem Buch wird ausdrücklich GEGEN den Genie-Kult um Hawking Stellung genommen, u.a. auch mit einem Hinweis auf die beißende Genie-Kritik von Robert Musil - Stichwort: "geniales Rennpferd". (Der Autor ist sehr seriös und gehört nicht zu den Marktschreiern, die es aber - zugegeben - leider auch im Wissenschaftsjournalismus gibt!) Das schmälert Hawkings Verdienste natürlich nicht, sondern beschreibt sie fair und realistisch. Hast Du das Buch nicht gelesen???

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  2. Hallo Bernd, danke für den Hinweis, ich habe mir ein aktuelles Cover mit dem wohl richtigen Untertitel "Wie es zum Urknall kam" besorgt. Das Buch war aber definitiv mal mit dem anderen Untertitel angekündigt, sonst wäre ich da ja nicht drauf gekommen. Offenbar hat der Verlag das nochmal geändert. Primär geht es mir aber nicht um das Buch, sondern um die Meldung und den Geniebegriff in der Wissenschaft. Das Buch hatte ich nur zufällig am selben Tag entdeckt und dazugestellt, weil es sicherlich kein schlechtes ist. Ich habe es zwar nicht gelesen,aber wie Du sagst ist Rüdiger Vaas ein seriöser Wissenschaftsjournalist. Ich lese gelegentlich in bdw Sachen von ihm. Dennoch neigt er in bdw dazu, die komplizierte Astrophysik mit den vermeintlichen Genie der Astrophysiker zu beweihräuchern, so nach dem Motto: 'Sie müssen das nicht verstehen, weil das hat sich ja ein Genie ausgedacht'. Man lese zum Beispiel seinen Artikel über Alexander Vilenkin. Ich finde Personenkult verträgt sich nicht mit Wissenschaft, aber ich verstehe wenn Autoren damit ihre Bücher aufpeppen, denn nichts interessiert den Menschen mehr als andere Menschen.

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  3. Hallo Stefan,

    ja, das muss ein altes oder früheres oder anderes Cover sein, und es ist bei manchen Online-Buchhändlern noch immer zu sehen. Aber definitiv nicht das richtige Cover. Keine Ahnung, warum das Falsche kursiert. Und von Wissenschaftler-Beweihräucherung steht auch nichts im Buch.

    "bild der wissenschaft" ist halt ein populärwissenschaftliches Magazin, das sich verkaufen muss, da wird Vaas wohl einige Kompromisse machen müssen - vor allem auch, was die "Tiefe" betrifft. Die meisten anderen Artikel in dem Magazin sind jedenfalls viel oberflächlicher. Und er schreibt ja auch anderswo, da ist nichts von Personenkult zu vernehmen. Ich kann Dir seine Bücher nur empfehlen. Aber man kann halt nicht alles lesen... Deinen Blog lese ich jedenfalls gern, und mein Hinweis war nicht als negative Kritik gemeint.

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