Binärcode - Der Astronomiekrimi


Rosetta ist der Stolz der europäischen Raumfahrt. Diese Hightech-Raumsonde befindet sich derzeit auf dem Weg zum Kometen Tschurjumow-Gerasimenko, den sie 2014 erreichen wird. Gestartet wurde Rosetta mit erheblicher Verzögerung im März 2004. Eigentlich hätte der Start der Sonde bereits im Januar 2003 erfolgen sollen, um sie dann zum Kometen Wirtanen zu befördern.*)
Wie kam es zu dieser Startverzögerung, die eine Änderung des Flugziels erforderlich machte? Natürlich gibt es die offizielle Begründung mit angeblichen Problemen an der Ariane-5-Trägerrakete, aber wer glaubt schon der offiziellen Version? Mit solch einer Frage könnte eine alberne Verschwörungstheorie beginnen oder ein spannender Krimi. Christian Gude hat sich für die zweite Variante entschieden. Sein astronomischer Wissenschaftskrimi Binärcode spielt in Darmstadt, wo die europäische Weltraumbehörde ESA eines ihrer Zentren unterhält, nämlich das European Space Operations Centre, ESOC. Dass die südhessische Stadt eine der bedeutendsten Einrichtungen der europäischen Raumfahrt beherbergt ist dem eigenwilligen Kommissar Karl Rünz bisher entgangen. Der Misanthrop und Polizist Rünz liebt Schusswaffen, hat panische Angst vor Mikroben und verbringt seine freie Zeit damit, die neuesten Esoteriktrends seiner Frau stoisch zu ertragen. Warum sich seine Heimatstadt den selbstbewussten Titel Wissenschaftsstadt gegeben hat, ist für ihn genauso rätselhaft, wie das anglizistische Managementgebabbel seines Vorgesetzten. Zunächst ist das nicht weiter problematisch, denn Christian Gudes Krimi beginnt ganz klassisch mit einem Mord und der Kriminalist Rünz kann mit seinen Schusswaffenkenntnissen brillieren. Da das Opfer jedoch ein ESOC-Mitarbeiter war und der Täter wohl nicht im spärlichen privaten Umfeld des Toten zu suchen ist, beginnt für Karl Rünz eine Reise, die seinen hessisch-behäbigen Intellekt ähnlich weit aus seinem bisherigen Zentrum hinaus trägt, wie die ESOC ihre Raumsonde Rosetta. Einen Reiseführer durch das Sonnensystem findet der Kommissar in einem Mitglied der Volkssternwarte Darmstadt e.V. und so begegnen sich in diesem Krimi die hochprofessionelle institutionalisierte Raumfahrt mit der von schierer Begeisterung getragenen Amateurastronomie. Die Bildungsreise des Kommissar Karl Rünz und seine Läuterung angesichts der kosmischen Weiten gehört mit zum Besten, was man dazu in Wissenschaftsromanen lesen kann. Seine Wandlung vom Südhessen zum Bewohner des Planetensystems mit der einhergehenden Werteverschiebung geschieht völlig unaufdringlich und harmonisch eingebettet in die Handlung - ein echter Geniestreich des Autors Christian Gude.

Neben dem klugen Wechselspiel aus Wissenschaft und Krimi muss man Christian Gude noch für eine zweite Sache dankbar sein: Sein Roman endet dann, wenn es am Schönsten ist. Der Schluss ist für Romane mit Sciencefiction-Thematik immer das größte Problem. Nachdem über viele Seiten Spannung aufgebaut und ein Rätsel entwickelt wurde, muss am Ende die Katze irgendwie aus dem Sack. So wird in vielen Werken der Sciencefiction beispielsweise aus der spannend inszenierten Frage, ob es Außerirdische geben kann, ein alberner Showdown in Wildwest- oder New-Age-Manier. So weit lässt es Christian Gude nicht kommen. Wenn Karl Rünz den Mörder hat, ist der Krimi zu Ende und das ist gut so.

Das Buch von Christian Gude erschien bereits 2008 im Gmeiner-Verlag. Für die Reihe Die Zeit Wissenschafts-Krimi wurde es neu aufgelegt und mit einer "Krimi-Analyse" aus der Zeit-Wissen-Redaktion erweitert. Viel zu analysieren hat der Redakteur Dirk Asendorpf dabei aber nicht, denn Christian Gude lässt kaum eine Frage offen. Er bedient sich keiner technischen Gadgets, über deren Realitätsgehalt man nun diskutieren müsste. Stattdessen hat sich der Zeit-Redakteur bei der ESA umgehört. Wie man dort das Buch fand ist schließlich auch eine spannende Frage.

Binärcode von Christian Gude gehört jedenfalls zu den kurweiligen Krimis, die man mehr verschlingt als liest und wie der Autor das Thema Astronomie in die Kriminalgeschichte verwebt hat, ist einfach nur großartig.

*) Siehe den Beitrag Die Rosetta-Mission auf spektrumdirekt

1 Kommentar:

  1. Dieser Artikel hat mich umgehend zum Kauf des Buches "genötigt" (was sonst beim Bloglesen eigentlich nie passiert) - und ich kann nur sagen: herzlichen Dank dafür! Zwar entpuppt sich die zentrale Plotidee - inklusive der ambivalenten Auflösung - gegen Ende als von einer berühmten amerikanischen Vorlage, na sagen wir mal gnädig, "inspiriert", und der Autor geht ein wenig in dieselbe Falle wie Dan Brown und Frank Schätzing, gegen Ende der Story immer noch einen 'draufsetzen' zu müssen. Aber er schreibt definitiv besser und origineller als diese beiden, die derzeit mal wieder an der Spitze der Bestsellerliste stehen. Der Binärcode ist indes weder in deren Nachbarschaft noch irgendwo sonst auf der Liste zu finden - irgendwie ungerecht das ...

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