Der vierte Mond

Kallisto, aufgenommen von der Jupiter-Sonde Galileo. Credit: NASA/JPL/DLR

 Der vierte Mond heißt Kallisto (auch Callisto geschrieben). Er ist der äußere der vier großen Monde Jupiters, die Galileo Galilei im Jahre 1610 entdeckte. Die drei anderen heißen Io, Europa und Ganymed. Schon mit einem Fernglas sind die vier Monde in der Nachbarschaft des Planeten Jupiters zu sehen. Sie reihen sich wie eine Perlschnur auf. Zu Zeiten Galileis war dies eine überraschende Beobachtung und ein starkes Indiz dafür, dass nicht alles im Universum um die Erde kreist.

Die vier Monde sind eigene Welten für sich. Kallisto ist mit einem Durchmesser von 4821 Kilometern kaum kleiner als der Planet Merkur. Nur der Umstand, dass Kallisto den Jupiter begleitet und nicht allein eine Bahn um die Sonne zieht, macht ihn zum Mond statt zum Planeten. 

Kallisto und die anderen Galilei‘schen Monde sind gemeinsam mit Jupiter entstanden. In der fünffachen Entfernung zur Sonne ist dieser Teil des Sonnensystems viel reicher an Eis als die kuschelig warme Zone, die unsere Erde einnimmt. Die vier Monde sind demnach Eiswelten.

Detailaufnahme vom Jupitermond Europa

Der eigentliche Star dieser Eiswelten ist der Mond Europa und das kommt so: Die drei inneren Monde Io, Europa und Ganymed erfahren starke Gezeitenkräfte auf ihren elliptischen Bahnen um Jupiter. Diese Gezeitenkräfte führen zur Erwärmung des Mondkörpers. Bei Io ist diese Gezeitenheizung so stark, dass der Mond als der vulkanisch aktivste Himmelskörper im Sonnensystem gilt. Ganymed ist schon so weit weg, dass sich die Gezeitenerwärmung nicht mehr so stark bemerkbar macht. In der Mitte aber liegt Europa. Hier schmilzt die Erwärmung seines Inneren einen Teil des Eises, während es an der kalten Oberfläche zu einen Eispanzer gefriert. Geschützt von diesem Eispanzer existiert also ein Ozean flüssigen Wassers, der etwa doppelt so viel Wasser enthält, wie alle irdischen Ozeane zusammen! Am Grund dieses Ozeans könnten warme Zonen mit heißen Tiefseeschloten existieren, wie sie auch in irdischen Ozeanen zu finden sind. Und wie auf der Erde könnten diese Zonen Orte für Leben darstellen. Europa ist der beste Kandidat für Leben außerhalb der Erde, den wir kennen.

Kallisto ist der am weitesten entfernte Mond. Seine große Entfernung macht ihn zur idealen Basis für Expeditionen zu den anderen Monden, denn er befindet sich außerhalb des gefährlichen Strahlungsgürtels Jupiters. In diesem Gürtel werden geladenen Teilchen, die dem Vulkanismus des innersten Mond Io entspringen, durch das Magnetfeld Jupiters auf hohe Geschwindigkeiten gebracht - kein guter Ort für Langzeitaufenthalte!


In dem Roman Der vierte Mond von Kathleen Weise begibt sich der Leser zu einer Raumstation auf Kallisto, von der aus Expeditionen nach Europa aufbrechen, um Proben aus dem Ozean des inneren Mondes zu entnehmen. Diese Proben sind kontaminiert, so dass bis auf einen Astronauten alle Expeditionsteilnehmer sterben. Der erfahrene Sciencefiction-Leser weiß natürlich sofort, dass die Proben biologisch(!) kontaminiert sind und etwas überlebt hat.

Es sind aber gar nicht so viele Seiten des Romans dem Kallisto gewidmet. Wir verbringen erstaunlich wenig Zeit auf dem Mond und die Autorin geizt mit der Beschreibung dieser Welt und der großartigen Aussicht auf Jupiter. Das schön gestaltete Buchcover vermittelt da deutlich mehr Stimmung.

Der Roman erzählt vor allem vom Leben der Spaceworker, wie die Astronauten in der Welt des Jahres 2104 genannt werden. Aus dem Flug zu den Sternen ist längst ein Business geworden, ein Bergbaugeschäft, angeführt von dem Privatunternehmen Space Rocks. Dieses hat seinen Sitz in Luxemburg, ein Staat, der tatsächlich auch außerhalb der Romanwelt die Möglichkeiten des Bergbaus im Sonnensystem bereits erkannt hat. Neben der Firmenzentrale von Space Rocks in Luxemburg ist die Stadt Kourou in Französisch-Gayana der zweite wesentliche Handlungsort. Von hier aus starten die Raketen der Europäer ins All und somit ist es auch das Zuhause vieler Spaceworker.

Die Arbeit der Spaceworker hat nichts mehr mit der Romantik der Raumfahrt zu tun. Es ist harte Maloche. Die Autorin verwendet konsequent Sprachbilder aus dem Bergbau. So kommt bei „Grubenunglücken im All“ die „Grubenwehr“ zum Einsatz, die Spaceworker sind gewerkschaftlich organisierte „Kumpel“, bei denen das Spacemining bereits eine Familientradition ist – und natürlich halten sie alle fest zusammen!

Die konsequente europäische Perspektive und die Bergmannsprache sorgen für einen frischen, ungewohnten Ton in der sonst so amerikanisch dominierten Sciencefiction-Literatur. Das Buch kommt auch weitestgehend ohne irgendwelche SF-Gadgets aus. Wir bewegen uns in dem uns bekannten Sonnensystem mit einer Technik und auf der Grundlage von Businessmodellen, wie sie jetzt bereits vorliegen. Das Jahr 2104, in dem der Roman spielt, ist recht nahe.

Zwei Dinge, die ich persönlich bemerkenswert finde: Die Spaceworker bringen Wasser, bzw. Eis von dem fernen Mond Europa mit zur Erde. Kaum eine Substanz ist esoterisch so aufgeladen wie Wasser und so kann man sich gut vorstellen, dass es eine große Nachfrage nach Europa-Wasser auf der Erde gibt. Es könnte heilende Kräfte haben oder einfach nur gesund sein. Reiche Leute, die schon alles haben, könnten es auch einfach benutzten, um auf ihren Partys exotische Drinks zu mixen. Ich finde die Idee der Autorin interessant, dass sich die Spaceworker mit dem Schmuggeln von Weltraum-Eis einen illegalen Nebenverdienst erwirtschaften.

Ein anderes Thema, das in den Roman anklingt, ist die leidige Unzulänglichkeit des menschlichen Körpers für den Weltraum. Unsere Biologie ist so verletzlich und evolutionär so sehr optimiert für das Leben auf diesen einen Planeten namens Erde. Dieses Problem müssen wir irgendwie überwinden, wenn wir eine interplanetare Spezies werden wollen. In der Buch- und Fernsehserie „The Expanse“ wird die Anpassung des Menschen an den Weltraum konsequent durchgespielt. Menschen, die seit Generationen im Asteroidengürtel wohnen, entwickeln Eigenschaften, die sie für das Leben in dieser Zone des Sonnensystems optimiert, doch gleichzeitig unfähig macht, auf der Erde zu existieren.

Auch die Spaceworker stehen am Beginn solch einer Entwicklung, die – Spoileralarm! – durch den Fund des kontaminierten Wassers von Europa stark beschleunigt wird.

Fazit: Ein lesenswerter und leicht zu lesender Sciencefiction-Roman aus einer nahen Zukunft mit einem interessanten Worldbuilding. Die vielen Erzählstränge, die der Roman aufmacht, werden allerdings nur unzureichend zu Ende erzählt. Da könnte ich mir einen zweiten Roman über den vierten Mond gut vorstellen.

Kathleen Weise Der vierte Mond, Heyne-Verlag, München, 2021, ISBN 978-453-32082-6

Für diesen Text wurde kein kostenloses Rezensionsexemplar verwendet.


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