Die Astronomie fristet in Deutschlands Schulen ein Schattendasein. Sie ist auch kein separates Studienfach, sondern wird als Teildisziplin der Physik denjenigen Studenten vermittelt, die später in der Astrophysik forschen möchten. Aufgrund dieser Situation ist das Angebot an Lehrbüchern der Astronomie in deutscher Sprache eher dünn. In den Buchhandlungen findet sich eine Fülle von Sachbüchern und Ratgeber für das Hobby Astronomie und ein paar Lehrwerke, die ein Grundstudium der Physik mit den entsprechenden mathematischen Kenntnissen voraussetzen.
Als der in München ansässige deutsche Ableger des britischen Verlages Pearson Education das umfangreiche Lehrbuch The Cosmic Perspective im Jahre 2009 in deutscher Übersetzung auf den Markt brachte, füllte das Buch diese schmerzliche Lücke zwischen dünnem Ratgeber und unverständlichem Lehrbuch. Es fand daher viele Käufer unter Hobby-Astronomen, die eine systematische und umfangreiche Einführung in die Astronomie wünschten, ohne dabei mathematisch-naturwissenschaftliche Kenntnisse zu benötigen.
Das Lehrbuch Astronomie – Die kosmische Perspektive wurde im Herbst 2020 nun in 9. Auflage in deutscher Sprache neu herausgegeben. Was hat sich geändert? Lohnt sich der Kauf des Buches, das zum Zeitpunkt des Erscheinens stolze 89,95 Euro kostet?
Die letzte Frage ist schwer zu beantworten, da sie vom Leser abhängt. Für sein Geld bekommt der Käufer ein 1.091-seitiges Werk, das systematisch in die Astronomie einführt: Das beginnt mit einem Überblick über kosmische Zeiten und Dimensionen sowie den Aufbau des Universums nach heutigem Kenntnisstand. Dem folgt eine Einführung in die grundlegenden astronomischen Phänomene, die sich schon mit bloßem Auge erschließen, wie zum Beispiel die Jahreszeiten, Mondphasen und dem sich mit der geografischen Breite wandelnden Himmelsanblick. Diesem einführenden Teil schließt sich eine weitere Einführung in grundlegende physikalische Konzepte an, ohne die es einfach nicht geht: Gravitation, Licht und Aufbau der Materie.
Die eigentlichen Hauptteile des Buches sind klassisch gegliedert: Kapitel über die Planeten unseres Sonnensystems folgen Kapitel über Sterne, dann Galaxien und schließlich dem Ursprung und Aufbau des Universums als Ganzes. Der Weg geht also von unserem irdischen Planeten immer weiter hinaus in den Kosmos. Beim letzten Kapitel über Leben im Universum schließt sich dann wieder die Klammer.
Wer sich auf diese weite Reise über unzählige Seiten begibt, sollte wissen, auf was er sich da einlässt: Das ist kein Tagesausflug, sondern eine Pilgerreise! Das Buch ist oft in einem weitschweifigen Ton geschrieben, immer um Motivation bemüht; kein Vergleich zu der Kürze und Prägnanz, die man aus Ratgebern oder Kompendien gewohnt ist. Astronomie – Die kosmische Perspektive will nicht einfach gelesen, sondern studiert werden. Lohn der Mühe ist ein erstaunlich umfassender Überblick. Nahezu jedes Thema der wissenschaftlichen Astronomie wird behandelt, sodass der Leser nach dem Studium wesentlich besser aktuelle Meldungen oder Zeitschriftenartikel verstehen und einsortieren können wird.
Die Betonung liegt aber eindeutig auf der wissenschaftlichen Astronomie. Das Buch bietet keinerlei praktische Einführung in das Hobby Astronomie. Es finden sich keine Tipps für die Verwendung eines Teleskops, keine Beschreibung lohnender Beobachtungsobjekte und schon gar nicht Einführungen in spezielle Teilgebiete, wie zum Beispiel der systematischen Beobachtung von veränderlichen Sternen oder in die Astrofotografie. Mit der Lektüre des Buches gewinnt man eine solide Allgemeinbildung in Sachen Astronomie, aber keine praktischen Kenntnisse.
Sehr bemerkenswert an dem Lehrwerk sind die zahlreichen Grafiken und Abbildungen. Sie sind hervorragend auf den Text abgestimmt und in ihrer didaktischen Qualität einfach unübertroffen. Allein das Betrachten der Bilder macht Spaß und ruft viele Sachverhalte auch nach der Lektüre auf einen Blick ins Gedächtnis.
Was aber ist neu an dieser Ausgabe? Natürlich hat sich einiges getan in der astronomischen Forschung in den letzten Jahren: Zwergplaneten wurden von Raumsonden besucht, Gravitationswellen detektiert, weitere Exoplaneten gefunden. All diese neuen Erkenntnisse sind in dem Buch eingeflossen – und das nicht als liebloser Anhang, sondern harmonisch an geeigneter Stelle in den Haupttext. Viele Grafiken wurden überarbeitet und der Text geglättet. Letzteres bedeutet, dass so mancher Anglizismus bereinigt wurde, doch ist dem Buch seine Herkunft noch immer anzumerken. Ein neu eingesetztes namhaftes deutsches Fachlektorat sorgt für die inhaltliche Korrektheit der Übersetzung.
Auf den ersten Blick fällt auf, dass das Buch dünner ist als die vorherige Auflage. Das liegt neben dem verwendeten Papier auch daran, dass die zahlreichen Übungsaufgaben beseitigt wurden. Stattdessen kann über einen Zugangscode für 48 Monate auf eine Lernplattform im Internet zugegriffen werden. Diese ist größtenteils in deutscher Sprache gehalten und besteht im Wesentlichen aus Testfragen mit mehreren Antwortmöglichkeiten. Das ist eigentlich eine schöne Idee, aber da fast immer die erste Antwort die richtige ist, kann man sich die Tests auch sparen.
Es ist löblich, wenn Verlage ihre großen Lehrwerke etwas abspecken und so gefälliger und leichter zu handhaben machen. Die umfangreichen Aufgaben ohne Lösungen wird vermutlich kaum jemand vermissen.
Astronomie – Die kosmische Perspektive ist ein umfangreicher Buchklotz, der jedem empfohlen werden kann, der eine hohe Allgemeinbildung in Sachen Astronomie anstrebt. Man sollte diesen Bücherberg aber nur angehen, wenn man genügend Zeit und Ausdauer für dieses Studium mitbringen kann.
Bibliografische Angaben: Bennett, et.al. Astronomie – Die kosmische Perspektive 9. Auflage, München, Pearson, 2020
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