Das größte Abenteuer

Das größte Abenteuer der Menschheit begann am 25. Mai 1975. Der Risikopilot Perry Rhodan startete mit seiner Mannschaft zum 27 Lichtjahre entfernten Stern Wega im Sternbild Leier – die erste Reise der Menschheit in den interstellaren Raum. 


Mit diesem bedeutenden, aber natürlich fiktiven Ereignis, endet der Roman Perry Rhodan - Das größte Abenteuer von Andreas Eschbach. Es handelt von der Herkunft, Jugend und beruflichen Werdegang des Hauptdarstellers der größten Sciencefiction-Serie der Welt.

Die ersten Groschenhefte mit dem Helden Perry Rhodan erschienen im Jahre 1961. Damals war der erste Flug zum Mond noch nahe Zukunft, aber doch so fern, dass die Autoren die Mondlandung ihrem Helden Perry Rhodan andichten konnten. Dieser Flug zum Mond war die entscheidende Wendung in der Geschichte der Menschheit. Dort entdeckt Perry Rhodan ein gestrandetes Schiff der Arkoniden. Diese humanoiden Aliens sind eigentlich im Kugelsternhaufen M13 beheimatet, das havarierte Schiff also weit entfernt von der möglichen Hilfe durch Artgenossen. 

Perry Rhodan lässt den Arkoniden dringend benötigte medizinische Hilfe zukommen. Im Gegenzug ermöglicht ihm die überlegene Technik der Aliens den drohenden Atomkrieg der Supermächte zu verhindern, die Menschheit zu vereinen und den Raumflug zu entwickeln. Das größte Abenteuer kann beginnen.

Auch Andreas Eschbach lässt in seinem Roman nicht Neil Armstrong, sondern Perry Rhodan als erster Mensch den Mond betreten, ganz so, wie es die Vorlage verlangt. War Perry Rhodan für die Erfinder der Groschenroman-Serie noch eine theoretische Möglichkeit, entwickelt Andreas Eschbach eine alternative Geschichte. Dabei verschweigt er nicht historische Personen, sondern fügt sie glaubhaft, aber doch zurückhaltend in seine Alternativgeschichte ein und lässt die Geschichte Perry Rhodans von einem fiktiven Zeitzeugen erzählen, der den Menschen der Zukunft das merkwürdige zwanzigste Jahrhundert mit teilweise bissigen Kommentaren näherbringt. Diese beiden stilistischen Kniffe führen dazu, dass man beim Lesen des Buches diese alternative Geschichte bereitwillig als Realität akzeptiert und sich gut unterhalten fühlt.

Der größte Teil des Buches widmet sich allerdings der Zeit vor dem Mondflug und dieser Teil ist auch der bei weitem stimmungsvollere. Andreas Eschbach trägt die aus der bayerischen Provinz eingewanderte Familie Rodan durch die amerikanische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Wir erleben mit dem jungen Perry den Vietnamkrieg, Rassenkonflikte, Studentenunruhen und natürlich die Entwicklung der bemannten Raumfahrt – und all dies immer mit dem Wissen im Hinterkopf, dass dieser junge Mann einmal die Menschheit im Kosmos vertreten wird. Besonders dieser erste Teil des Buches liest sich flott weg, so dass man keine Angst vor dem dicken Wälzer haben muss.

Biografische Ereignisse erscheinen im Nachhinein oft als eine Abfolge von Notwendigkeiten, damit sich das individuelle Schicksal entfalten kann. So wird jeder Astronom gefragt, ob er denn schon als Kind gerne durch ein kleines Teleskop geschaut hat. Wir wollen, dass ein Leben folgerichtig gelebt wird und tun uns schwer mit Brüchen und natürlich würden wir gerne das Leben vorhersehen können, um unsere eigenen Kinder optimal darauf vorbereiten zu können.

Beim jungen Perry wissen wir Leser bereits um seine besondere Lebensleistung als Erwachsener. Die fiktionale Biografie beleuchtet besonders die Eigenschaften und Ereignisse, die ihm diese Leistungen ermöglichen. So freundet sich der junge Perry mit einem gleichaltrigen Jungen dunkler Hautfarbe an. Das war zu dieser Zeit zumindest ungewöhnlich und förderte früh das Gerechtigkeitsempfinden Perrys und seine Abneigung gegen Vorurteile und bloße Äußerlichkeiten.

Das Werden eines Helden ist aber vor allem eins: Langweilig. Es ist eine vorhersehbare Abfolge von Errungenschaften, Schulabschlüssen, Urkunden und Zertifikaten – natürlich alles mit Bravour. Die Biografien realer Astronauten, die ich bisher gelesen habe, zeigen einem vor allem ein gelungenes Leben ohne große Brüche – literarisch völlig uninteressant.

Andreas Eschbach kann zwar den fiktionalen Astronauten Perry Rhodan interessanter gestalten, ist aber auch gehalten, das Erbe dieses besonderen Menschen, der die größte Sciencefiction-Serie der Welt trägt, zu bewahren. Diese Gratwanderung gelingt ihm sehr gut. Er treibt dieses Spiel so weit, dass er zwischenzeitlich Perry Rhodan den Weg verlieren lässt. Er will das Risikofliegen aufgeben. Während des Lesens ist nicht vorhersehbar, wie er die Kurve zurück zum Heldentum bekommen kann. Bei aller Vorhersagbarkeit finden sich Brüche und Twists in dieser Geschichte.

Was ist nun von den Arkoniden zu halten? Wie viele Alienvölker der Sciencefiction sind sie genial und dämlich zugleich, genauso, wie es die Geschichte gerade erfordert. Sie können interstellare Reisen unternehmen, benötigen aber die Hilfe der Menschheit in einem medizinischen Notfall. Ihr Raumschiff ist bewegungsunfähig, aber sie haben genug Energie, um undurchdringliche Schilde zu bilden. Sie sind geniale Ingenieure und Wissenschaftler, verbringen aber auch ihre Zeit völlig paralysiert durch sehr fortgeschrittene Ablenkungstechniken. Ihren menschlichen Verbündeten geben sie immer genau die Technologie weiter, die diese gerade brauchen. Diese Zeichnung der Aliens ist keine Erfindung von Andreas Eschbach, sondern durch die Vorlage der Groschenromane gegeben. Hier atmet der Roman den Geist der Sciencefiction der Sechzigerjahre. Das modern angelegte Buch von Andreas Eschbach wirkt für meinen Geschmack im letzten Teil doch recht altbacken, weil die Geschichte sich immer weniger von den Zwängen der Vorlage lösen kann. 

Für die treue Leserschaft der Geschichten aus dem Perryversum hat Andreas Eschbach eine großartige Biografie ihres Helden geschrieben, die zum Kanon gehört und schon allein aus Gründen der Vollständigkeit gelesen werden sollte. Was ist aber mit den Eschbach-Fans, die sich nicht für Perry Rhodan interessieren? Ihnen kann ich sagen, dass das Buch bis auf seinen letzten Teil genügend Eigenständigkeit besitzt, um es mit großem Genuss zu lesen. In diesem Buch erzählt der Humanist Andreas Eschbach vom Leben eines anderen großen Freund von allem Lebendigen, der freien Entfaltung des Individuums und vor allem der Toleranz.

Andreas Eschbach: Perry Rhodan - Das größte Abenteuer, FISCHER Tor, 2020, 848 Seiten, ISBN: 978-3-596-70146-9

Das für diese Rezension für verwendete Buch wurde regulär im Buchhandel erworben*) und nicht vom Verlag zur Verfügung gestellt. 

*) Bei Osiander in Sigmaringen, eine sehr schöne Buchhandlung zum Verweilen.

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