"Warum UFO-Geschichten so faszinieren"


Dana Scully und Fox Mulder aus der Fernsehserie Akte X machen es vor: Sie ist die Skeptikerin mit dem wissenschaftlichen Hintergrund, er glaubt an UFOs. Damit spiegelt das Agentenpaar einen kuriosen Unterschied im Glaubensverhalten der Geschlechter wieder. Frauen sind den Männern in allen Glaubensfragen "voraus", denn Frauen glauben häufiger an Dinge wie Astrologie, Gott oder die Wiederauferstehung, als Männer dies tun. Doch fragt man nach UFOs, liegen wir Männer in Glaubensdingen vorne, so wie eben Fox Mulder gegenüber seiner skeptischen Kollegin Scully. UFO-Religionen haben daher einen hohen Anteil männlicher Mitglieder.

Auf diesen Unterschied machte der Religionswissenschaftler Michael Blume in seinem Vortrag "Botschafter aus dem All? - Warum UFO-Geschichten so faszinieren", gehalten gestern auf der Yuri's Night im Planetarium Stuttgart, aufmerksam. Eigentlich ein kurioser Vortrag, sollten doch auf der Yuri's Night eher die Bewohner fremder Welten von ihren Erfahrungen mit menschlichen Raumschiffen berichten, aber so weit sind wir leider noch nicht mit unserer Raumfahrt.

Michael Blume versucht den UFO-Glauben religionswissenschaftlich einzuordnen. Er definiert Religiosität als das "Verhalten zu übernatürlichen Akteuren". Sein eigenes Spezialgebiet ist wohl die Frage nach dem evolutionären Nutzen solch eines Verhaltens für eine Glaubensgemeinschaft.
Sind aber Aliens wirklich "übernatürlich" oder einfach nur technisch überlegene, dabei aber ganz und gar biologische Akteure? Diese Verschiebung des Übernatürlichen hin zum technisch Denkbaren macht wohl den eigentümlichen Reiz der UFO-Religionen für Menschen mit einen Hang zur Technik und Naturwissenschaft aus. Ein Beispiel für eine UFO-Sekte mit einem, laut Michael Blume, sehr hohen Männeranteil ist der Raelismus. Der Wikipedia-Eintrag bringt es auf den Punkt:
"Durch die Verbindung von wissenschaftlicher Sichtweise und religiösen Gesichtspunkten ist das Konzept [des Raelismus] erfolgreich."
Biblische Elemente wie Offenbahrung und Apokalypse werden sprachlich der heutigen technisch-naturwissenschaftlichen Zeit angepasst. Statt des brennenden (und dabei nicht verbrennenden) Dornbusch, aus dem Gott spricht, verkündet ein weit gereister (und damit seine technologische Überlegenheit beweisender) Außerirdischer tiefe Wahrheiten über unsere Welt. Wahrheiten, die aber nur ausgewählte Menschen (die Priester) kennen, denn nur ihnen hat sich das Alien offenbahrt. Wie schon in der biblischen droht auch in der modernen Welt die Apokalypse, die nach der Zündung der ersten Atombombe gemeinhin als unvermeidbar angesehen wurde.
"Nun werde ich der Tod, der Zerstörer der Welt",
soll Robert Oppenheimer, einer der Väter der Atombome, gesagt haben. Die Aliens offenbahren uns (genauer den Gläubigen) ihr Wissen und warnen oder schützen vor der Apokalypse. Ursache der Apokalypse ist die kollektive Sündhaftigkeit des Menschen, die sich in der modernen Welt durch Weltkriege, Umweltverschmutzung und Atomenergie ausdrückt. Der UFO-Glaube beginnt also in einer Zeit, in der Raumfahrt und Atomkraft entwickelt werden und biblische Konzepte so einen modernen sprachlichen Ausdruck finden. Raumfahrt, Atomkraft und die visuellen Massenmedien, das sind drei Entwicklungen, in denen die USA nach dem Zweiten Weltkrieg große Fortschritte machen, weshalb hier der UFO-Glaube Urstände feiert.

Durch ihre Modernisierung wird Religion aber auch rationalisiert (was übrigens auch zeitlich rückwärts funktioniert, wenn man einfach die Götter unserer Vorfahren im nachhinein als Aliens deklariert). Alles wird vermeintlich erklär- und beweisbar und eigentlich wüssten es auch alle, würde die US-Regierung nicht alles vertuschen. Die Grenzen zu Verschwörungstheorien und zur Sciencefiction-Literatur sind fließend.

Wenn ich Michael Blume richtig verstehe, gibt es durchaus auch einen guten Grund, an UFOs zu Glauben. Die Funktion des Glaubens für eine Gesellschaft besteht nämlich seiner Aussage nach darin, einen übergeordneten Dritten zu imaginieren, der über die Einhaltung von Verträgen wacht. Deutlich wird dies zum Beispiel beim Ehevertrag. Heiratet man kirchlich, so schließt man eine Ehe nicht nur mit dem Partner, sondern auch vor Gott. Sind beide Partner wirklich religiös, werden sie an ihrer Ehe festhalten wollen, da sie die übergeordnete Vertragsüberwachungsinstanz nicht kränken wollen. Statistisch lässt sich nachweisen, so Blume, dass kirchliche Heiraten stabiler sind, wenn auch nicht unbedingt glücklicher. Der Ehevertrag ist also ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie der Mensch unter einer dritten mächtigen Überwachungsinstanz Vertragstreue beweist. In unserer durch Naturwissenschaft und Technik geprägten Welt, tut sich der christliche Gott allerdings als Überwacher unserer Verträge schwer. Außerirdische können hier seine Funktion übernehmen, insofern deren offenbahrtes Wissen über die Apokalypse uns zur Vernunft zwingt. So, wie sich die Eheleute bei einer Scheidung (also dem Vertragsbruch) vor Gott rechtfertigen müssen, muss der Mensch sich für seinen Hang zur ökologischen oder atmomaren Selbstvernichtung vor den Außerirdischen rechtfertigen. Dieses Motiv findet sich in der Sciencefiction sehr häufig, zum Beispiel im Film Abyss oder auch in der Rückkehr des wieder Kind gewordenen Astronauten in 2001 - Odyssee im Weltraum (der Astronaut als das wiedergeborene, geläuterte Wesen). Wunderbar komisch ist eine Szene von Stanislaw Lem in den Sterntagebüchern, in der sich der Held vor den Außerirdischen für die Menschheit regelrecht "fremdschämen" muss. UFO-Glaube erscheint so als eine Form gelebter Sciencefiction, in der zwischen Fiktion und Wirklichkeit nicht mehr unterschieden wird, ähnlich wie bei einem religiösen Fundamentalisten.

Was aber tun, wenn einem ein UFO-Gläubiger wie Fox Mulder begegnet? So wie ich Michael Blume verstehe, macht es Dana Scully genau richtig. Sie hört ihrem Kollegen Fox Mulder zu (ist ja auch ihr Vorgesetzter) und stellt nicht seine Integrität als Mensch in Frage (obwohl er ihr Vorgesetzer ist). Wie Michael Blume am Beispiel von Heaven's Gate erläutert, kann eine Isolierung der UFO-Gläubigen von der Gesellschaft tragische Folgen haben. Außerdem gibt er zu bedenken, dass Religiosität nichts krankhaftes ist, sondern sich wie Musikalität in den Menschen mehr oder weniger verankert findet. Bei Letzterem stimme ich ihm gerne zu, aber ob ich es beim freundlichen zuhören belassen könnte, wenn mir jemand ernsthaft Geschichten von fliegenden Untertassen erzählt, wage ich doch zu sehr bezweifeln.

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