Jede Wissenschaft hat zwei Geschichten: Die eine ist die verkürzte Geschichte, die meist einfach aus einer Abfolge bedeutender Persönlichkeit besteht. Diese Geschichte trägt jeder bei sich, der sich mit einer Wissenschaft beschäftigt und sich ihr zugehörig fühlt. Die Funktion dieser verkürzten Wissenschaftsgeschichte darf nicht unterschätzt werden, denn sie hilft, die Entwicklung der Wissenschaft grob einzuordnen, ihre Umbrüche und Paradigmenwechsel mit den Namen der Forscher zu verbinden. Jeder, der sich mit einem Wissensgebiet beschäftigt, sollte auch seine Geschichte auf diese Art skizzieren können. In solch einer verkürzten Darstellung hat man sich wohl auf den Holländer Hans Lippershey als "Newton des Teleskops" geeinigt - gelegentlich ergänzt um seine Landsleute Zacharias Janssen und Jakob Metius.
Die wahre Wissenschaftsgeschichte ist aber ein Gebiet für Spezialisten und das um so mehr, je weiter eine Entwicklung zurück liegt. Denn jeder Forscher steht auf den Schultern von Riesen und jede Idee hat ihre Vorläufer. Hier die wahren Verhältnisse beschreiben zu können geht weit an dem vorbei, was man im Studium einer Wissenschaft vermitteln kann.
Zum Jahr der Astronomie begegnen uns so immer wieder neue Vordenker in Sachen Teleskop. Für mich ganz neu bringt Helmut Hornung in seinem Buch Streifzüge durch das All den englischen Mönchen Roger Bacon ins Spiel:
"Nach seinem Tod erschien eine Schrift, in der Rogerius Baco beschreibt, wie er Kinder als Riesen gesehen und Sonne und Mond herangezogen habe. Hatte Baco das Geheimnis des Teleskops mit ins Grab genommen?"Leider geht der Autor nicht weiter auf seine eigene Frage ein und ich habe auch nicht mehr Hinweise finden können, ob Roger Bacon (lateinisiert Rogerius Baco) wirklich ein Teleskop entwickelt haben könnte. Alles was ich über ihn finde ist, dass er von 1214 bis 1292 lebte, wobei diese Daten unsicher sind. Er war als Gelehrter auf der Höhe seiner Zeit und wirkte an der Universität Paris, zur damaligen Zeit das intellektuelle Zentrum Europas. Später trat er dann dem Franziskaner-Orden bei. Er war wohl mäßig vermögend und hat sein Hab und Gut darauf verwendet, sich geistig zu entwickeln (wir sind hier in einer Zeit ohne Bafög und C4-Professur).
Er gilt als einer der Wegbereiter empirischer Forschung: Das was geschieht und das was ist bilden für ihn eine Einheit und in der (wissenschaftlichen) Erkenntnis zeigt sich das Wirken Gottes. Wer das Experiment ins Zentrum der Erkenntnis rückt stößt unweigerlich mit den althergebrachten Autoritäten zusammen. So forderte Roger Bacon, genau wie später Martin Luther, dass auch in der Theologie die Bibel selbst wieder Gegenstand der Auseinandersetzung ist und nicht das Studium der Texte irgendwelcher Autoritäten - man könnte sagen, das Lesen in der Bibel ist für den empirischen Theologen dasselbe, wie das Lesen in der Natur für den Experimentalphysiker. So war es nur folgerichtig, dass Roger Bacon zeitweilig eingesperrt wurde, laut Wikipedia immerhin vermutlich von 1278 bis 1292. In Oxford verstarb er und dort, am Museum für Naturgeschichte der Universität, findet sich zu seiner Würdigung die oben abgebildete Statue.
Leider weiß ich nach all dem immer noch nicht, wie es sich nun mit Roger Bacon und dem Teleskop genau verhält. Sollte hier ein methodisch seiner Zeit weit vorausgehender praktischer Denker zwei Linsen hintereinander gehalten haben, um den ewig unveränderlichen Himmel der scholastischen Theologie zu beobachten? Vielleicht hat mir ja jemand einen Literatur- oder Linktipp.
Der Wikipedia-Eintrag über Roger Bacon findet sich hier.
Das Buch von Helmut Hornung Streifzüge durch das All gibt es überall im Buchhandel oder direkt hier.
A propos Teleskop und Buch: Ich will doch schwer hoffen, daß ein Verlag im Jahr der Astronomie 2009 das Standardwerk "Fernrohre und ihre Meister" von Rolf Riekher neu auflegt. Die Preise im Antiquariat sind ja wahrhaft "astronomisch".
AntwortenLöschenWeißt Du zufällig mehr ?
Beim nochmaligen Überfliegen des Eintrags sah ich, daß Du einen Literaturtip haben wolltest.
AntwortenLöschenWenn überhaupt irgendwo was findet zu dem Thema dann im o.g. Buch von Riekher (falls Du es nicht kennen solltest).
DAS Standardwerk zur Geschichte des Fernrohrs. 1990 zum letzten Mal aufgelegt und der Autor ist leider schon 85. Aber ich habe es selber auch nicht zur Hand, da ich 250€ und mehr doch ein bißchen teuer finde.
Tja, dass sprengt auch mein Bücher-Budget. Mir ist nicht bekannt, ob eine Neuauflage zu diesem Buch geplant ist. Ich bin jetzt auch nochmal bei Jürgen Hamel "Geschichte der Astronomie" fündig geworden. Er schreibt zunächst "Die Erfindung des Fernrohrs ist bis heute trotz intensiver Forschung und mancher Archivalienfunde in Dunkel gehüllt." Dabei bezieht er sich auf Riekher. Später schreibt er dann über Roger Bacon: "Zwar deutet Bacon die Wirkung eines Fernrohrs an, doch bleibt zweifelhaft, ob er in diese Richtung experimentiert hat."
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