Artemis – die Stadt auf dem Mond


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Jasmine Bashara, genannt Jazz, ist ein echtes Mondkind, geboren und aufgewachsen in Artemis. Diese Stadt auf dem Mond besteht aus fünf miteinander verbundenen Aluminiumkugeln. Die Kugeln sind tief in den Mond eingegraben, so dass nur große Kuppeln über den Boden hinausragen. Für Jazz ist dies die naturgegebene Umwelt ihrer Kindheit. Sie kennt nichts anderes. Ein Besuch auf der Erde wäre nur mit der lästigen Anpassung an die sechsfache Erdgravitation verbunden.

Umgekehrt jedoch ist der Besuch von Artemis ein echtes Vergnügen und so ist Tourismus die Haupteinnahmequelle dieser zweitausend Einwohner umfassenden Stadt. In der Aldrin-Kuppel – alle Kuppeln sind nach Apollo-Astronauten benannt – finden Touristen alles, was sie für einen unbeschwerten Aufenthalt benötigen. Dazu gehört ein künstlich angelegter Park unter einer Kuppel aus Glas, der einzige Ort, an dem man nach draußen sehen kann.

Wer will kann mit dem Zug in das vierzig Kilometer entfernte Apollo-11-Besucherzentrum fahren. Hier kann man wunderbare Apollo-Souvenirs erstehen und den echten Apollo-11-Landeplatz durch ein großes Glasfenster bewundern.Für ein paar Slugs mehr, ist auch ein Mondspaziergang um die Landestelle in speziellen Hamsterrädern möglich. Hamsterräder sind durchsichtige Plastikkugeln, in denen die Touristen auf der Mondoberfläche rollen können. Das ist einfacher und bequemer als in den komplizierten Raumanzügen der Astronauten. Außerdem können die Touristen durch ihre Hamsterräder nichts anfassen und somit auch kein Stück Apollo-Lander als Mitbringsel für zuhause abbrechen.

Slug ist der Name der Währung auf Artemis. Genau genommen heißt sie SLG, was für Soft Landed Grams steht. Die Idee hinter der Währung ist sehr einleuchtend: 1000 SLG entsprechen so viel Euro, wie es kostet, ein Kilogramm Material zum Mond zu bringen. Wer eine Rakete baut, die weich auf dem Mond landen kann, erhält mit jedem Gramm, das er abliefert, einen Slug. Das erinnert nicht zufällig an den Goldrausch im amerikanischen Westen, wo durch Goldschürfen unmittelbar Geld erschaffen wird. Artemis ist eine Stadt im neu entdeckten Land, die Glücksritter lockt und deren Verwaltung und Exekutive noch unterentwickelt sind. Man hilft sich selbst.

Die Mondstadt Artemis mit ihrer jungen Protagonistin Jazz ist eine Erfindung von Andy Weir. Diesem Autor gelang 2011 (in deutscher Übersetzung ab 2014) ein sagenhafter Erfolg mit seiner Geschichte um Mark Watney, der als Astronaut auf dem Mars gestrandet ist und sich bis zu seiner Rettung alleine durchschlagen muss. Das Buch Der Marsianer wurde nur wenige Jahre nach seinem Erscheinen von Ridley Scott verfilmt.

In seinem neuen Roman wendet sich Andy Weir also dem Mond zu, bleibt aber in vielen Dingen seinem Stil aus Der Marsianer treu. Auch Artemis spielt in einer näheren Zukunft und kommt ganz ohne exotische Sciencefiction-Technologie aus. Die Mondstadt Artemis könnte theoretisch so gebaut werden, wie der Autor sie beschreibt. Der bekennende Raumfahrtenthusiast Andy Weir hat auch für diesen Roman wieder sehr aufwendig recherchiert. Es gibt wohl kaum einen anderen aktuellen Sciencefiction-Autor, der sich so viel Mühe gibt, die Dinge korrekt darzustellen. Daher ist Artemis ein Lesegenuss für alle an Raumfahrt und Astronomie interessierte Leser.

Wie der Vorgängerroman ist auch Artemis, eine sehr stark handlungsgetriebene Geschichte. Als Leser sind wir ständig ganz nah bei Jazz. Alles was geschieht, erfahren wir aus ihrer Ich-Perspektive und alles geschieht quasi in Echtzeit. Es gibt keine Handlungssprünge, höchstens kurze Erinnerungsfetzen, an die uns Jazz teilhaben lässt. Diese Erzählweise sorgt für ein hohes Tempo und kommt ohne dozierende Einschübe aus. Es gibt keine überlangen Belehrungen über die Geschichte und Funktionsweise von Artemis, alle notwendigen Informationen ergeben sich aus der Handlung. Andy Weir hat diesbezüglich eine besondere Begabung. Er bedient sich dabei auch eines hübschen erzählerischen Tricks: Als Schülerin wurde Jazz aufgefordert eine Brieffreundschaft mit einem gleichaltrigen Jungen auf der Erde einzugehen. Jedes Kapitel endet mit Auszügen aus den Emails dieser beiden, wodurch wir erfahren, wie es in dieser Zukunft ist, auf dem Mond und der Erde aufzuwachsen.

Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Helden Mark Watney und Jasmine Bashira ist ihr völliges Desinteresse an der Schönheit ihrer Umgebung. Der Marsianer ist mit überleben beschäftigt und hat keinen Sinn für Betrachtungen über den Mars. Jazz hingegen kennt als Mondmensch nichts anderes als den Mond. Er ist für sie nichts besonders und daher kein Anlass in ihrer Ich-Erzählung sich lange über seine Andersartigkeit auszulassen - auch das macht Jazz zu einer authentischen Figur.

Artemis verdient sein Geld mit Tourismus. Doch gibt es auch eine Industrie vor den Toren der Mondstadt. In einer Schmelzanlage stellen die Bewohner Artemis aus dem, im lunaren Hochland allgegenwärtigen Mineral Anorthosit, fast alles her, was sie brauchen: Aluminium, Glas und Sauerstoff. Betrieben wir die Anlage mit Kernkraft – auch hier hält sich der Autor an altbekanntes.

Das Unternehmen, das diese Anlage betreibt, versorgt die Stadt mit Sauerstoff im Tausch gegen die erforderliche Prozessenergie. Ein lukratives Geschäft, in das ein artemisansässiger Millionär gerne einsteigen würde. Da trifft er auf Jazz, eine junge Frau, die schon früh aus dem Leben gefallen ist und sich als Paketbote gerade so über Wasser hält. Sie ist bereit, für eine Verbesserung ihrer Situation ein krummes Ding zu drehen. So bekommt sie den Auftrag, die Anorthosit-Abbaumaschinen zu sabotieren, auf dass der Millionär mit seinen bereitstehenden Maschinen das Geschäft übernehmen kann. Etwas läuft schief und was Jazz nicht wusste, war, dass die Schmelzanlage längst Eigentum des organisierten Verbrechens ist. Für Jazz beginnt ein Versteckspiel in der Mondstadt Artemis.

Bei der eigentlichen Story handelt es sich also um einen Krimi aus Industriespionage und Sabotage. Ihren besonderen Reiz bezieht die Geschichte aus den faszinierenden Eigentümlichkeiten einer Mondstadt, wie beispielsweise die geringe Gravitation, die ständige Gefahr zu ersticken, der gefährliche Mondstaub, die Enge einer Stadt, die einer Raumstation gleicht. Außerdem schlägt Andy Weir einen Bogen zu der amerikanischen Erzähltradition der New Frontier. Das sind Geschichten vom Leben in einer Gemeinschaft am Rande des noch weiten, unerschlossenen Landes, Orte bei der Zugehörigkeit und persönliches Arrangement mehr zählen als staatliche Ordnung.

Einen großen Unterschied zu Der Marsianer ist besonders auffällig. Sein erstes Buch hat Andy Weir in Abschnitten geschrieben, die er in seinem Blog veröffentlichte. Er brachte Mark Watney immer wieder in ausweglose Situationen, aus denen er ihn dann mit der Hilfe seiner Blogleser wieder befreien musste. Dadurch entstand ein episodenhaftes Buch, das sehr zutreffend als Kompetenzporno beschrieben wurde. Artemis hingegen ist ein besser strukturiertes Buch, die Handlung ist dichter, alles was passiert, geschieht aus einem Grund und trägt zur Story bei.

Übrigens wird auch Artemis in die Kinos kommen. Da die Geschichte mit einer Stadt auf dem Mond größer angelegt ist, als die Geschichte des Marsianers in seinem Habitat, dürfen wir uns auf ein visuelles Erlebnis über das Leben auf unserem Erdtrabanten freuen!

Nachtrag: Dieser Rezension liegt die International Edition (ISBN 978-0-525-57266-4) zugrunde. Daher kann über die Qualität der deutschsprachigen Übersetzung nichts gesagt werden.

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