Nebra: Die Himmelsscheibe im Roman


Die Himmelsscheibe von Nebra war der archäologische Sensationsfund der letzten Jahre. Als am 4. Juli 1999 Raubgräber auf dem Mittelberg nahe der Ortschaft Nebra unter anderem die Himmelsscheibe in der Erde fanden, hielten sie die Scheibe zuerst für einen Eimerdeckel. Dieser Eimerdeckel hat es aber in sich und das nicht nur für Archäologen. Für den Romanautor Thomas Thiemeyer ist die Scheibe ein Schlüssel zu einem Portal in eine andere Dimension. So zumindest hat er es sich für seinen Science-Thriller Nebra ausgedacht.

Den Roman Nebra habe ich auf der Suche nach einer leichten Lektüre für eine längere Zugfahrt ausgegraben. Da ich schon Magma von Thomas Thiemeyer kannte, wusste ich, das ich mit einem spannenden "Pageturner" rechnen konnte, gespickt mit Elementen aus der Wissenschaft.

Die Himmelsscheibe von Nebra entstammt der Bronzezeit vor 3600 Jahren und ist die älteste bekannte konkrete Himmelsdarstellung. Ein Problem in der Archäologie ist allerdings der Kontext, in dem solch ein Fund steht, denn da die Himmelsscheibe ja nicht mit einer Gebrauchsanleitung von unseren Vorfahren vergraben wurde, ist jede Interpretation ihrer Bedeutung spekulativ. Ein ganz konkreter Kontext wäre eine Erwähnung der Scheibe in einem alten Text, eine Darstellung auf einer Wandmalerei oder einem Schmuckstück. Am besten wäre natürlich der Fund einer zweiten Scheibe. Im Roman Nebra macht sich die Archäologin Hannah Peters vom Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle auf die Suche nach solch einem Kontext. Dabei trifft sie auf einen dubiosen Kunstschätzehändler, der tatsächlich über solch einen verfügt. Von ihm erhält sie den Hinweis, dass die 32 Sterne auf der Himmelsscheibe auch ganz ungewohnt interpretiert werden können: Die sieben in einer Rosette angeordneten und für gewöhnlich als der Sternhaufen der Plejaden interpretierten Goldscheibchen, stehen demnach für den Brocken im Harz. Die übrigen 25 Sterne markieren besondere Landschaftspunkte rund um den Berg, wie Felsen oder Höhlen. Von dieser Interpretation angetrieben macht sich Hannah Peters auf in den Harz. Dort begegnet sie dem Anwalt Michael von Stetten, der viel über die Geschichte und Mythen dieses nördlichsten Mittelgebirges Deutschlands weiß, ja regelrecht besessen zu sein scheint. Sowohl rund um den Brocken, als auch mitten im Museum in Halle kommt es zu Entführungen, an denen mysteriöse Wolfsmenschen und ein Schamane beteiligt sind. Irgendeine durchgeknallte Sekte scheint sich der Himmelsscheibe bemächtigen zu wollen, rechtzeitig zur Walpurgisnacht, die sich zum fünfhundertsten Male jährt.

Währenddessen erfährt Hannah Peters von einer weiteren erstaunlichen Interpretation der Scheibe. Sie soll ihren Ursprung im babylonischen Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris haben. Bronzeschmiede dieser frühen babylonischen Hochkultur sollen über die alten Handelswege bis nach Mitteldeutschland vorgestoßen sein. Dort etablierten sie die Bronze. Die Neuankömmlinge wurden als Schamanen verehrt, denn ihr Wissen um die Herstellung und Verarbeitung der Bronze war bedeutsam und mysteriös zugleich. Mit diesen Schamanen kamen auch die Götter aus dem Zweistromland in unsere Breiten. Insbesondere auch der Dämon Pasusu. Die Rosette aus sieben Sternen auf der Himmelscheibe stehen für den Brocken und diesen Dämonen zugleich. Mit der Christianisierung wurde dieser Aberglaube weitestgehend erfolgreich bekämpft, bzw. durch einen anderen ersetzt, doch mitten in Mitteldeutschland hält sich eine Sekte, die in einem tempelartigen Höhlensystem unter dem Brocken den Dämon Pasusu in der Nacht zum ersten Mai anrufen will, alles was es braucht ist die Himmelsscheibe.
Hannah Peters wird von Michael von Stetten gezielt in diese Welt eingeführt, denn sie hat Zugang zur Scheibe und kann sie ohne viel Aufsehen zu erregen stehlen. Soweit der Stoff, aus dem dieser Thriller gestrickt ist.

Meine Neigung zur Astronomie war der Grund, weshalb ich zu dem Buch griff und daher war ich schon ein bisschen enttäuscht, dass in dem Roman eine astronomische Deutung der Himmelsscheibe keine Rolle spielt. Aber die archäologischen Passagen in dem Buch sind durchaus interessant, insbesondere auch der Einblick in die Forschungseinrichtung des Landesmuseums. Dass der Autor Geologe ist, wird an Sätzen wie diesen erkennbar:
"Der Brocken besteht aus purem Granit. Es ist ein einziger mächtiger Pluton, der vor beinahe dreihundert Millionen Jahren aus dem Erdinneren aufgestiegen und dann erkaltet ist."
Auch schreibt Thomas Thiemeyer mit seinen Büchern keine Fantasy. Über weite Strecken von Nebra bleibt unklar, ob es nun diesen Dämonen und diese andere Dimension gibt oder ob hier ein jahrtausende alter religiöser Kult sein Unwesen treibt. Erst ab Seite 454 legt sich der Autor fest und aus einem Thriller wird Fantasy:
"Eines war gewiss: Scharlatanerie war das nicht. Hier war etwas Unerhörtes im Gange."
Als wäre dem Autor das selber nicht ganz geheuer bringt er das Buch dann recht schnell zu Ende - der Showdown gerät ziemlich konfus. Das ist ein echtes Problem für diese Art Literatur. Die Autoren etablieren erfolgreich ein spannendes und faszinierendes Moment, schaffen es dann aber nicht, ein adäquates Ende zu finden. Science-Fiction und Science-Thriller sollte man nach dreiviertel der Lektüre aus der Hand legen.

Bei Nebra handelt es sich um einen Ideenroman. Thomas Thiemeyer hat sich eine interessante und in Archäologenkreisen diskutierte Spekulation genommen und sie mit dem Hype um die Walpurgisnacht am Brocken geistreich und spannend verknüpft. Aber die sprachliche Umsetzung der Idee zum Roman ist dann meines Erachtens nicht gut gelungen. Die Figuren wirken stereotyp und uninteressant, die Stimmung wird kaum inszeniert: Wenn sich Leute anstrengen schwitzen sie jedesmal und spüren immer jeden Knochen und wenn sie früh Morgens vor dem Museum stehen, dann ähnelt die Szenerie der "Atmosphäre eines Edgar-Wallace-Films". Der Autor etabliert selten Stimmung, er sagt einem einfach zu oft, was er für eine Stimmung meint, kurz: Es mangelt oft an sprachlicher und erzählerischer Finesse. So ist es eben einfach die Abwicklung einer Idee - einer allerdings recht guten, wie ich sehr gerne zugebe.

Bibliographische Angaben:

Thomas Thiemeyer
Nebra
506 Seiten
2009 Knaur
ISBN 978-3-426-66290-8
Kostet derzeit € 19,95

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