Kennerschaft in der Naturwissenschaft
"Man ist entweder Fachmann oder Laie, aber nicht Kenner." Dieser Satz entstammt dem Vortrag "Welche Naturwissenschaft braucht der gebildete Mensch?" von Ernst-Peter Fischer. Mit diesem Satz beschreibt er ein Phänomen, das der Naturwissenschaft eigen ist: Entweder man kennt sich in ihr aus, mit allen Methoden wenigstens eines speziellen Gebiets oder man steht außerhalb von ihr, als Teil des zu belehrenden Publikums. Anders als in anderen Bereichen unserer Kultur scheint es in der Wissenschaft kaum eine Kennerschaft zu geben. Eine Kennerschaft wie sie zum Beispiel jemand für sich beansprucht, der Weine liebt, gute Literatur oder jedes relevante Kunstmuseum bereist.
Ein wesentlicher Grund hierfür ist wohl, dass Naturwissenschaft gerne anhand ihrer Fakten vermittelt wird. Wissenschaftler haben etwas herausgefunden, etwas entdeckt und versuchen nun dieses Wissen zu popularisieren, bzw. sie unterhalten einen Pressemenschen, der das für sie macht. Abgesehen davon, dass bei dem Akt der Popularisierung der wesentliche Inhalt oftmals auf der Strecke bleibt, tritt der Laie so nicht in einen Dialog ein, sondern nimmt die Information wie ein Schwamm auf, ein niemals endender Vorgang. Kennerschaft hingegen zeichnet sich dadurch aus, dass der Kenner entweder in einem kontemplativen Monolog über eine Sache treten kann oder in einem Dialog mit anderen Kennern. Genau darin besteht dann der Akt der Bildung, wie Ernst-Peter Fischer betont. Gebildet ist, wer in einen Dialog treten kann und Bildung findet in diesem Gespräch statt.
Ziel der Vermittlung von Naturwissenschaft sollte es also sein, den anderen in die Lage zu versetzen, über Wissenschaft reden zu können. Ich habe den Eindruck, dass Blogs hier den informationslastigen Texten in Nachrichtenmagazinen weit voraus sind. Blogs und Foren sind beinahe so etwas wie die Humboldtschen Universitäten des 21. Jahrhunderts, eine Versammlung dialogwilliger Kenner. Jemand, der über einen Wissensvorsprung verfügt und/oder über die Fähigkeit prägnant zu formulieren, stellt einen Gedanken in den Raum, über den sich dann ein Gespräch der dialogwilligen Kenner entfalten kann. So findet mitunter mehr Bildung statt, als bei der Lektüre eines gehaltvollen Artikels.
Den Vortrag "Welche Naturwissenschaft braucht der gebildete Mensch?" von Ernst-Peter Fischer gibt es auf DVD-Video unter der ISBN 978-3-8312-9478-7
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Ich denke auch dass Blogs da ein sehr mächtiges Werkzeug sind, zu schade dass es so unbedeutend ist in Deutschland, erst recht in den Naturwissenschaften.
AntwortenLöschenWobei ja gerade das Blog von Ernst-Peter Fischer ein besonders gutes Beispiel war wie ein Blog nicht geführt werden sollte ;)
Na ja, das Verhältnis erinnert eben doch gelegentlich an das zwischen Priester und Laie in der r.-k. Kirche. Und es ist eben schwierig in einen Dialog mit jemandem zu treten, der über die 'Absolute Wahrheit' verfügt; ganz egal, ob das nun ein Taliban ist oder sonst wer.
AntwortenLöschenDas 'wissenschaftlich' vor 'Wissenschaftliche Wahrheit' ist eigentlich als einschränkende Konditionalisierung und nicht als Steigerungsform zu verstehen. Aber das hat sich noch nicht überall herumgesprochen.
In der Kunst gibt es die Figur des Rezipienten, so wie in der Religion die des Gläubigen - der Wissenschaft fehlt hier ein funktionales Äquivalent.