Rezension: Raumlabor Columbus


Für Europa war 2008 das Jahr der Raumfahrt: Im Februar flog endlich das Labormodul Columbus mit dem Space Shuttle zur Internationalen Raumstation (ISS). Im März folgte ihm das Automatische Transportvehikel (ATV) "Jules Verne". Letzteres startete mit einer europäischen Ariane 5 Rakete vom Weltraumbahnof Kourou in Französisch-Guyana. Das ATV brachte dringend benötigte Versorgungsgüter zur ISS und hob mit seinem Triebwerk die Umlaufbahn der Raumstation um fast 30 Kilometer an. Das Columbus-Modul ermöglicht es den Astronauten am Bord der ISS Experimente in der Mikrogravitation durchzuführen und mit dem ATV können die Europäer nun aus eigener Kraft die Raumstation anfliegen und sie mit Material versorgen, sowie Abfall entsorgen. Besonders das ATV ist somit ein großer Beitrag der europäischen Weltraumbehörde ESA zum weiteren Betrieb der Internationalen Raumstation.

Der Astrophysiker und Journalist Dirk H. Lorenzen stellt in seinem neuen Buch "Raumlabor Columbus - Leben und Forschen auf der Internationalen Raumstation" diese beiden europäischen Entwicklungen vor. Als "Traumduo" bezeichnet er Jules Verne und Columbus in seinem einleitenden Kapitel und führt damit den Grundton aus dem Vorwort des ESA-Generaldirektors Jean-Jacques Dordain fort:
"Europa war jahrelang ein Partner auf dem Boden. Jetzt sind wir ein Partner im Weltraum. Das ist ein großer Unterschied. Columbus und ATV zeigen, was Europäer erreichen können."
Kein Pathos, sondern handfeste Montagearbeit mit zwei Außenbordeinsätzen waren nötig, um das Raumlabor Columbus an die ISS anzubringen. Mit grandiosen, oft doppelseitigen Bildern lässt Dirk H. Lorenzen die Spannung auf der Baustelle in rund 340 Kilometer Höhe nochmals aufleben. Daran beteiligt war auch der deutsche Astronaut Hans Schlegel. Dieser erkrankte jedoch und musste beim ersten Weltraum-"Spaziergang" aussetzen. Die genauen Hintergründe der Erkrankung erfährt auch der Autor nicht, weil die NASA solche medizinischen Informationen konsequent der Privatsphäre der Astronauten zurechnet und Hans Schlegel selbst auch nichts durchblicken lässt.
Nach dieser Rekapitulation der Ereignisse von Anfang 2008 geht Dirk H. Lorenzen einen Schritt zurück und erzählt, wie es zur Internationalen Raumstation kam - nicht ohne anzumerken, dass die ISS kaum das verspricht, was man sich unter der einst Freedom genannten Raumstation versprochen hat: Raumfabriken in der Schwerelosigkeit, die hochreine Kristalle, Computer-Hardware und Medikamente produzieren, die im Wochentakt von Raumfähren abgeholt werden. Stattdessen bietet das Columbus-Labor nun Gelegenheit zur Grundlagenforschung, so denn die Besatzung der ISS einmal dauerhaft auf sechs Astronauten angewachsen sein wird und somit endlich genug Manpower vorhanden ist. Für die Grundlagenforschung ist die ISS womöglich unnötig groß und für echte erkundende Raumfahrt zu nah an der Erde. Die ISS ist vor allem auch ein Kind des Kalten Krieges, genauer gesagt dessen Ende. Das neue Russland und seine Raumfahrtingenieure sollten so in ein internationales Projekt eingebunden und friedlich beschäftigt werden.

Jules Vernes Romanheld Phileas Fogg und sein Diener Passepartout benötigen achtzig Tage um die Welt. Die Internationale Raumstation und das nach Jules Verne benannte automatische Transportvehikel ATV schaffen es in 92 Minuten. Das ATV wird mit der europäischen Rakete Ariane 5 gestartet. Somit können die Europäer ohne Hilfe Russlands und der USA die ISS zumindest unbemannt erreichen. Dabei fliegt das ATV vollautomatisch, es gibt keinen Steuerknüppel, weder im Kontrollzentrum in Toulouse, noch auf der ISS. Beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verglüht das ATV allerdings vollständig. Daher ist es naheliegend, eine Wiedereintrittskapsel für das ATV zu entwickeln, die in einem nächsten Schritt sogar Astronauten transportieren kann. Hier setzt auch die Kritik von Dirk H. Lorenzen an der europäischen Raumfahrt an: Er spricht vom "Beifahrer-Syndrom":
"Man betreibt ein Raumlabor, das man nicht aus eigener Kraft erreichen kann. Wenn Russen und Amerikaner den ESA-Astronauten die Tür vor der Nase zuschlagen sollten, wäre Columbus am Ende."
Dirk H. Lorenzen fordert in seinem Schlusskapitel dazu auf, sich zur Raumfahrt zu bekennen und sie nicht auf "unmittelbar irdische Dienstleistungen" zu reduzieren. Raumfahrt hat für ihn "vor allem technologische, politische, kulturelle, ja sogar ethische Aspekte" und schließlich: "Raumfahrt macht Spaß ... Muss man sich dafür schämen?"

Das Buch "Raumlabor Columbus" ist ein wunderbar ausgewogener Bericht über das Geschehen in der europäischen Raumfahrt. Der Autor berichtet voller Begeisterung von diesem Thema und bewahrt sich zugleich seine journalistische Distanz. Dirk H. Lorenzen besuchte die Originalschauplätze und lässt die beteiligten Ingenieure, Wissenschaftler und Astronauten im O-Ton zu Wort kommen. So liest sich sein Bericht spannend und authentisch. Er überfrachtet seine Leser nicht mit zu vielen technischen Details und er wischt gelegentlich mit kritischen Aussagen den naiven Raumfahrtpathos von den Buchseiten. Dabei hätte er sich seinen Bericht fast sparen können, denn allein die sehr gute Bebilderung dieses Bandes vermittelt schon, wie faszinierend die Raumfahrt für Europa im Jahre 2008 war.

Das Buch "Raumlabor Columbus" von Dirk H. Lorenzen ist 2008 im Kosmos-Verlag unter der ISBN 9783440117118 erschienen.
Es ist in jeder ordentlichen Buchhandlung erhältlich oder hier bei amazon)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen